Die zerbrochene Uhr
her. Peter hat wenig von seinem Aufenthalt in England erzählt. Er war etliche Jahre dort, und wir hätten gerne von seinen Erlebnissen gehört, bei uns in Husum erfährt man ja nicht sehr viel von der weiten Welt. Aber die Trauer über den Tod seiner Frau hatte ihn schweigsam werden lassen, gewiß schmerzte ihn jedes Wort über die Vergangenheit aufs Neue. So unterließen wir bald das Fragen. Er hat jedoch erzählt, daß die Schwester seiner Frau seinerzeit Nachricht geschickt hatte, auch sie sei mit ihrem ersten Kind niedergekommen. Sie lebte damals in einem Dorf weiter im Norden und kann erst mit ihrer Familie nach London übersiedelt sein, nachdem Peter das Land verlassen hatte. Ihr Sohn, das hat auch Peter gesagt, wurde nur wenige Tage vor Simon geboren. Daran erinnere ich mich genau. Simons Geburtstag ist der 14. September, das andere Kind – war sein Name nicht Paul, meine Liebe?«
Madame Horstedt, die beständig mit den Tränen kämpfte, nickte. »Paul wurde am 6. September geboren«, sagte sie, »oder am siebten? Jedenfalls einige Tage vor Simon, wie du sagst. Aber das ist doch ganz gleichgültig. Simon braucht dieses fremde Geld überhaupt nicht, wer weiß, auf welche Weise es erworben wurde? Wir sind nicht reich, aber es geht uns gut. Sehr gut. Simon bekommt von uns alles, was ein Mensch braucht, um behaglich zu leben.«
Ihr Mann, der gar nichts gegen Geld, nicht einmal gegen fremdes, einzuwenden hatte, seufzte und rieb sich die von Müdigkeit und Sorge geröteten Augen. »Wir haben diesen Brief von Peters Schwägerin in seinem Nachlaß gefunden. Deshalb erinnere ich mich auch an die Daten. Er hat nicht viele Briefe aufgehoben, den aber doch. Und nun habe ich eine Frage, Monsieur Herrmanns. Mir gefällt das alles gar nicht, und ich kann nicht umhin anzunehmen, daß Ihr all diese Fragen nach dem Erbe stellt, das wie ich Euch noch einmal versichern möchte, Simon nicht betrifft, solange sein Cousin lebt, worüber Gott noch viele Jahrzehnte wachen möge – daß Ihr diese Fragen stellt, weil Ihr annehmt, Simons Verschwinden könnte damit zu tun haben?«
»Ich danke Euch für Eure Offenheit.« Claes lehnte sich erleichtert zurück. »Ja, das vermuten wir. Allerdings kann ich Euch nicht erklären, warum. In dieser Geschichte scheint nichts zusammenzupassen. Es ist dennoch eine Möglichkeit, die wir in Betracht ziehen.« Seine vage Handbewegung schloß den Rektor und den Weddemeister mit ein. »Aber nun, da Ihr die Sache bestätigt, bin ich ratlos. Wahrscheinlich war das eine ganz dumme Idee. Ihr versteht gewiß: Wenn es um so viel Geld und Besitz geht, wenn gleichzeitig ein angesehener Mann aus der gleichen Familie getötet wurde, liegt eine solche Vermutung nahe.«
»Ihr glaubt, daß auch Adams Tod«, Monsieur Horstedt warf einen besorgten Blick zu seiner Frau, aber die saß sehr aufrecht und beherrscht auf ihrem Stuhl, »daß Adams Tod damit verbunden ist? Das klingt absurd. Simon steht immerhin an zweiter Stelle in der Erbfolge, aber Adam? Andererseits muß es einen Grund für seinen schrecklichen Tod gegeben haben. Warum sollte jemand einen angesehenen, allseits beliebten Mann des Geistes und der Wissenschaft töten? Wir hatten bis heute an einen Räuber gedacht, der in der Annahme, die Schule sei in der Mittagszeit verlassen, dort eingedrungen ist, um irgend etwas zu stehlen, das sich verkaufen ließe. Bücher vielleicht oder Landkarten, die Karten des derzeitigen Zeichenmeisters am Johanneum sind bekannt für ihre Qualität. Und unser guter Adam – immer fleißig, selbst wenn andere die Mittagszeit zu Schlaf und Erholung nutzten – war ihm zufällig im Weg.«
Daß es eine Reihe anderer, absolut nicht ehrbarer Gründe gegeben hatte, Adam Donner zur Hölle zu wünschen, behielten Claes, Müller und Wagner in stillem Einverständnis für sich. Davon würden die Horstedts noch früh genug erfahren.
Als Claes in dieser Nacht zum Neuen Wandrahm zurückkehrte, war er sehr müde. Der Tag war ungewöhnlich lang gewesen, aber vor allem drückte ihn die Sorge um diese Jungen, die er eigentlich nur wenig kannte und für die er sich auch nie besonders interessiert hatte, obwohl sie Freunde seines Sohnes waren. Die langen Gespräche, der tiefe Kummer der beiden Horstedts, die Sorge des Rektors und der Komödianten beschämten ihn. Er hatte das Gefühl, daß Niklas’ Freunde ihm in diesen letzten Stunden sehr nahe geworden waren. Den ganzen Abend hatte er die Rolle des verantwortlichen Scholarchen
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