Die zerbrochene Uhr
Versailles.
Mit blumigen Worten stellte er Titus als großen Pierrot vor, was der gar nicht gerne hörte, er war ein Hanswurst, punktum. Und Rudolf, den raffiniertesten Maschinen- und Baumeister. Und Madame Gesine, die erste directrice des costumes in den deutschen Ländern. Er schwärmte von den Tanz- und Sangeskünsten der Demoiselles Rosina und Manon, die leider im Moment zu Gesangstunden bei einem der ersten Musikanten der Stadt seien. Und Monsieur Filippo …
Jean war in seinem Element, er schlug Schaum wie ein Konfektbäcker am Sonnabend, und Monsieur Curieux war höchst entzückt, besonders bei der Erwähnung der jungen, leider abwesenden Damen. Er sei beglückt, eine so formidable Compagnie anzutreffen. Es werde ihm eine Ehre sein, von der ersten Aufführung nach Paris zu berichten, zumindest von der ersten Aufführung.
»Es ist mir auch eine Ehre, mon ami«, dabei sah er nicht Jean, sondern Helena verwegen blinzelnd an, »Euch Monsieur Mosbert vorzustellen.«
Er wies mit einer Geste, als präsentiere er den großen Farinelli persönlich, zur Tür, und alle drehten sich. Da stand Monsieur Mosbert, bescheiden die Hände vor dem Bauch gefaltet, verbeugte sich und trat zögernd einige Schritte näher.
»Mon ami Charles«, fuhr Lazare Curieux schon fort, eilte auf ihn zu und zog ihn nach vorne zur Bühne, »ist ein wichtiger Mann in der Welt des Theaters, und er hat mich sehr gebeten, ihn bei Euch einzuführen, eine Ehre, fürwahr. Für mich, und«, er schüttelte schalkhaft den Zeigefinger, daß der Rubin – nun ja, der rubinrote Stein – daran nur so schlackerte, »auch für Euch.«
Helena hatte nun genug von dem Theater, das sie ausschließlich auf der Bühne schätzte, und trat dem neuen Gast entgegen. Der glich in seinem braunen Rock über der schlichten sandfarbenen Weste und den schwarzen Kniehosen eher einem Kaufmann. Nur der Gegensatz seiner etwas spitz geratenen Nase zu den vollen Lippen verlieh ihm etwas Komödiantisches. Sie reichte ihm die Hand, sagte: »Guten Tag, Monsieur« und fragte, zu welcher Theatergesellschaft er denn gehöre. Was äußerst direkt und deshalb nicht sehr höflich war, aber jedes weitere süßliche Geschwätz von vornherein unterband.
»Verzeiht, Madame«, Monsieur Mosbert neigte verbindlich den Kopf mit der braunen Perücke, »verzeiht diesen unangemeldeten Besuch, es war mir nicht möglich, Monsieur Curieux aufzuhalten. Sein Temperament, Ihr versteht gewiß.« Helena fand, daß zwar seine Stimme und Sprache um einiges angenehmer waren als die seines Begleiters, sein Lächeln jedoch den gleichen zuckrigen Charme bewies. »Tatsächlich gehöre ich keiner Gesellschaft an, ich bin nur auf Reisen, um die großen Theatergesellschaften in den deutschen Ländern zu besuchen.«
»Diese Bescheidenheit!« Curieux schlug seufzend die Hände zusammen. »Monsieur Mosbert reist im Auftrag einiger bedeutender Entrepreneure in Mannheim, es war doch Mannheim, mon ami, ja Mannheim, eine formidable kleine Residenz, ganz formidable. Dort will man ein Theater errichten, genau wie hier in Hamburg, allerdings unter der Patronage des Fürsten, oder ist es ein König?, egal, es wird eine formidable Unternehmung, und Monsieur Mosbert ist auf der Suche nach den Besten, nach der creme , um sie zu engagieren. Natürlich habe ich gleich an Eure Gesellschaft gedacht, mon ami Jean. Und voilà, hier ist er: Monsieur Charles Mosbert de Mannheim.«
Daß er tatsächlich nach Hamburg gekommen war, um die Theatergesellschaft des neuen Nationaltheaters beim Gänsemarkt zu besuchen, erwähnte Karl Mosbert nur nebenbei, und es war Jean ein leichtes, diese doch etwas enttäuschende Nachricht zu überhören. Sie war ja auch nicht von Belang. Die Truppe von Seyler und Löwen gastierte wegen der chronisch leeren Kassen und des faulen Hamburger Publikums in Braunschweig, nur Lessing, der Kritiker, war in der Stadt geblieben, und würde auch in den nächsten Wochen nicht zurückkehren. In diesem August gab es nur eine Komödiantengesellschaft in der Stadt, die Beckersche, und die war die allerbeste, die Jean kannte. Mannheim! dachte er, und auch wenn er mit dem wenig eleganten Namen nicht mehr als die vage Vorstellung einer süddeutschen Residenzstadt ohne große Bedeutung verband, blühten in seinem Kopf schon die schönsten Bilder von einem Leben als verehrter Prinzipal eines Hof- und Nationaltheaters.
Nicht lange darauf verschwand Jean mit Monsieur Mosbert und dem formidablen Monsieur Curieux, um sich mit
Weitere Kostenlose Bücher