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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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erhoben, um den Rektor zu verabschieden. Wagner nicht. Eine Frage sei da noch, die nicht warten könne: Wer war Monsieur Donner?
    Diese Frage verstand der Rektor nicht. » Der Lehrer der Sekunda natürlich, das wißt Ihr doch.«
    Wagner nickte nachsichtig. Wenn der Rektor noch eine Minute Platz nehmen wolle. Ein wenig mehr müsse er nun doch über den Toten wissen. Müller setzte sich auf die vorderste Kante der Bank, schloß für einen Moment die Augen und begann zu erzählen.
    Donner war vor gut drei Jahren, gleich nach den Osterprüfungen 1765, an das Johanneum berufen worden. Er hatte in Helmstedt und Halle studiert, Theologie und alte Sprachen, so wie es üblich sei für einen Lehrer der Gelehrtenschule. Er persönlich ziehe die Absolventen der neuen Göttinger Universität vor, aber die Herren Scholarchen, er warf Claes Herrmanns einen kurzen unsicheren Blick zu und fuhr fort, die Herren Scholarchen favorisierten die Absolventen einer traditionsreichen Alma mater. Jedenfalls bisher. Donner habe zuvor in Uelzen unterrichtet, eine Schule von hervorragendem Ruf. Er selbst sei dort Pädagoge gewesen, wenn das auch schon ein Menschenalter her sei. Donner stamme aus Husum und sei unverheiratet, in seinen Jahren, er habe immerhin gerade die Dreißig überschritten, ungewöhnlich, gewiß, aber er sei verlobt gewesen, vor geraumer Zeit schon, aber leider sei das Mädchen schon bald nach der Verlobung an den Masern gestorben.
    Wer sie gewesen sei? Die älteste Tochter eines Pastors in Uelzen, sehr ehrbar, ohne Zweifel. Eine fromme junge Frau, die in ihrer Heimatstadt für ihre guten Taten für die Alten und Armen bekannt gewesen sei.
    » Selbstverständlich hat das Scholarchat nicht nur über Donner Erkundigungen eingezogen, sondern auch über seine Familie und Bekanntschaften, das ist unumgänglich für einen Bewerber auf eine so verantwortungsvolle Position. Man weiß doch, daß eine falsch gewählte Ehefrau sich nicht mit einem solchen Amt verträgt, wenn ich da an die Gattin des seligen Telemann denke – tragisch. So etwas darf einfach nicht vorkommen.«
    » Er hat sich also für das Amt in der Sekunda beworben und ist …«
    » Nein, nicht für die Sekunda«, unterbrach der Rektor Claes Herrmanns. » Donner kam als Lehrer der Quarta nach Hamburg. Die Stelle in der Sekunda wurde frei, als im letzten Februar der gute alte Mahlert starb. Vielleicht erinnert Ihr Euch, obwohl Ihr damals noch nicht Mitglied des Scholarchats wart. Natürlich hatten alle angenommen, daß Bucher, der sehr verdiente und wirklich hervorragende Pädagoge, von Schülern wie Eltern geschätzt, sich um den Aufstieg bewerben werde. Das ist so üblich, wenn sich kein besserer Kandidat von außerhalb bewirbt, und auch der gewöhnliche Weg des Aufstiegs. Aber Bucher hat sich dann doch nicht beworben, was ich immer noch nicht verstehe, dafür Donner, was niemand ihm verübeln konnte. So wurde der zum Lehrer der Tertia erhoben. Gleich nach den Osterprüfungen.«
    Warum der andere, Monsieur Bucher, sich nicht beworben hatte, wollte Wagner wissen.
    Das habe er, wie schon gesagt, selbst nicht verstanden, er halte ihn für sehr geeignet, aber Bucher habe gesagt, er fühle sich noch nicht bereit für eine höhere Klasse. » Was ich für falsch halte und was, unter uns gesagt, ehrbar sein mag, aber keine gute Zukunftsplanung ist. Es werden nur sehr selten Stellen frei und damit ein Aufstieg möglich. In der Regel nur, wenn einer der Lehrer an eine andere Schule berufen wird, sich doch noch für eine Aufgabe als Theologe entscheidet oder, was allerdings erst einmal vorgekommen ist, solange ich mich erinnere, wegen persönlicher Verfehlungen, wegen eines unwürdigen Lebenswandels gehen muß.«
    » Oder wenn einer stirbt«, sagte Claes, » wie heute.«
    Und Müller sagte: » Ja.« Sonst nichts.
    Dann durfte er sich endlich auf die Suche nach Simon Horstedt machen, um ihm mitzuteilen, daß das Schicksal, diesmal wahrhaftig kein gütiges, heute seinen Onkel ereilt hatte.
    Die Befragung der anderen Lehrer brachte kaum neue Erkenntnisse. Keiner wußte etwas zu berichten, alle waren erst wenige Minuten vor eins in die Schule gekommen. Fünf von ihnen hatten die gesamte Pause gemeinsam bei einem ausgedehnten zweiten Frühstück auf dem Altan des Baumhauses verbracht, um wichtige pädagogische Fragen zu klären, so hatten sie jedenfalls gesagt. Monsieur Bucher, Lehrer der Tertia, war in der Bibliothek gewesen. Professor Wolf könne das bezeugen, auch dessen Gehilfe.

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