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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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der Rocktasche, doch dann zog er seine Hand zurück. Er konnte Rosina das tödliche Werkzeug immer noch zeigen, wenn es untersucht und vor allem das Blut abgewaschen worden war. » Wir werden bald herausfinden, was es ist, dann wissen wir auch, wer es besitzen konnte.«
    Der letzte Satz war eine aus der Zuversicht geborene Lüge. Es gab Hunderte Handwerker in der Stadt, fast alle fertigten die meisten ihrer Werkzeuge selbst. Und so ein Gerät, einfach eine lange, kantige Spitze, konnte zu vielen Gewerken passen. Wäre es zum Beispiel eines dieser Messer, mit denen die Ärzte beim Aderlaß die Blutgefäße einritzten, wäre es einfacher gewesen. Es gab zwar auch viele Ärzte in der Stadt, gewiß mehr als fünfzig, doch ihre Messer und anderen gefährlichen Utensilien waren gewöhnlich auf die eine oder andere Art hübsch verziert. Manche hatten einen elfen- oder fischbeinernen oder gar emaillierten Griff, andere ihre Anfangsbuchstaben in Silber- oder Goldfäden eingelegt – das wären schon gute Hinweise. Aber dieses hier? Auch Handwerker zeichneten ihre Werkzeuge mit ihrem Namen oder ihren Initialen, auf diesem hatte er jedoch nichts entdeckt. Allerdings hatte er es auch noch nicht genau genug untersucht. Das Blut, fiel ihm plötzlich ein, vielleicht verbirgt sich etwas unter dem Blut!
    » Was habt Ihr, Wagner? Ihr seht plötzlich so unruhig aus.«
    Ein lautes Poltern in der Diele enthob den Weddemeister der Notwendigkeit, sich eine Ausrede einfallen zu lassen. Schnelle Schritte kamen die Treppe herauf, langsamere folgten, schon flog die Tür auf, und Madame Herrmanns stürmte in den Salon. Abrupt blieb sie stehen, die Klinke noch in der Hand, unter dem leicht gebräunten Gesicht mit der sommersprossengetupften Nase schreckensbleich. » O mein Gott « , flüsterte sie, » o mein Gott.«
    » Anne?« Claes war aufgesprungen und ergriff die Hände seiner Frau. » Was ist passiert? Nun rede doch. Was ist passiert?«
    » Das fragst du mich?« Sie sah noch genauso verstört aus, in ihrer Stimme schwang jedoch schon mehr Ärger als Angst. » Ich denke, du bist tot, und da sitzt du hier und ißt Kuchen und die Pfirsiche, die als Dessert für das Abendessen gedacht waren.«
    Plötzlich begannen ihre Lippen zu zittern, zwei Tränen rollten über ihre Wangen, und sie ließ sich erschöpft auf Claes’ Stuhl fallen.
    » Ich habe es dir gleich gesagt, Claes hat einen guten Stern, den erwischt es nicht so schnell.«
    Augusta stand in der Tür, von der Treppe ein wenig atemlos, und bei aller zur Schau gestellten Gelassenheit war auch ihr Erleichterung anzusehen.
    » Erwischt? Was oder wer soll mich erwischt haben?«
    » In der Stadt hört man so seltsame Dinge, Claes. Am Dammtor haben die Leute gesagt, im Johanneum habe man einen Toten gefunden. Einer habe sich aufgehängt, weil er eine Liaison mit der Frau des Rektors hatte. Ein anderer sagte, das mit der Frau sei richtig, aber er habe sich nicht erhängt, sondern erschossen. Nun weiß ich genau, daß unsere in ehelichen Ehren ergraute Madame Müller zwar Klopstocks schwärmerische Oden verehrt und einige von vorn bis hinten deklamieren kann, was sie leider bei jeder Gelegenheit beweist. Aber ihre Liebe zum Natürlichen beschränkt sich ohne jeden Zweifel auf die Wunder und Schönheiten der Landschaft. Anne und ich haben jedenfalls herzlich über diesen Unsinn gelacht. Am Jungfernstieg habe ich den Fehler gemacht, halten zu lassen und bei einem Straßenhändler einen Grashüpfer in einem Papierhäuschen für Niklas zu kaufen, und der Mann hat erzählt, im Johanneum sei ein Mord geschehen, ein anderer mischte sich ein und sagte, das sei ganz falsch, es seien zwei ermordet worden, einer sei ein Lehrer, was einen ja nicht wundere, da höre man Dinge! Aber gewiß meinte er damit nur das harte Regiment der Lehrer in den Armenschulen. Jedenfalls sagte der andere « , sie schluckte und tupfte sich die feuchte Stirn, » der zweite sei ein Besucher. Und da hat Anne gedacht, das wärest du, Claes. Könnte mir auch jemand einen Stuhl anbieten? Ich bin zwar nicht ganz so zu Tode erschrocken wie unsere liebe Anne, aber ich muß gestehen, auch wenn ich keine Sekunde an all das Geschwätz auf den Straßen geglaubt habe, ist mir allein die Vorstellung doch unter die Haut gegangen, wie man neuerdings sagt. Guten Tag, Rosina. Und auch Ihr, Wagner, guten Tag. Vielen Dank.«
    Wagner und Rosina, zunächst von dem vehementen Auftritt der Dame des Hauses wie erstarrt, waren beide gleichzeitig

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