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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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aufgesprungen. Wagner trat höflich zurück und überließ es Rosina, Augusta den Arm zu reichen und sie zu ihrem Stuhl zu führen.
    » O mein Gott«, sagte Anne noch einmal und sah ihren verstohlen grinsenden Mann ärgerlich an. » Was sollte ich denn sonst glauben? Ich wußte doch, daß du den Rektor besuchen wolltest.« Sie zog sein Schnupftuch aus der Tasche ihres Rocks, wischte energisch die Tränen ab und putzte sich die Nase. Dann sah sie sich im Salon um, entdeckte erst jetzt, wer da zu Besuch war.
    » Rosina«, rief sie und sprang auf, um ihre ganz und gar unstandesgemäße Freundin zu umarmen, » Niklas hat schon erzählt, daß ihr heute morgen angekommen seid.« Sie seufzte. » Kann es denn nicht einmal einen Toten geben, mit dem wir nichts zu tun haben?«
    Wagner dachte an die vielen Toten in der Stadt, mit denen eine Familie wie die Herrmanns niemals etwas zu tun hatten, und überlegte, einen der weißseidenbezogenen Stühle mit den hübsch geschwungenen Beinen heranzurücken, die die Lücken zwischen den breiten Fenstern schmückten. Aber er war nicht sicher, ob das von Vorteil wäre. Natürlich gab es noch vieles zu besprechen, und ganz gewiß würden sowohl Madame Herrmanns als auch Madame Kjellerup schon in wenigen Augenblicken beginnen, nach Details des Verbrechens zu fragen. Es war zwar nicht der erste Fall, den er mit der Unterstützung – mehr oder weniger – Claes Herrmanns’ und besonders Rosinas löste. Es wäre auch nicht das erste Mal, daß sich nicht nur Rosinas Komödianten, sondern auch Gattin und Tante des Kaufmanns munter in seine Arbeit einmischten, obwohl er sonst höchstens durch die Hintertür in die vornehmen Häuser der Stadt eingelassen wurde. Nicht, daß er damit in den letzten Jahren schlecht gefahren war. Doch Herrschaften aus großen Häusern, die gewohnt waren zu befehlen und überhaupt nicht gewohnt waren, die Gefahren der dunklen Seiten der Stadt zu erkennen, konnten noch mehr Verwirrung stiften, als in so einem ohnedies unangenehmen Fall zu erwarten war. Fälle, in die ehrbare Bürger der Stadt verwickelt waren, waren immer delikat. Aber in diesem hatte er auch noch das Scholarchat am Hals. Das hieß, die gesamte hohe Geistlichkeit und den Rat. Und die fünfzehn Herren Oberalten. Kurz gesagt: nahezu alle, die in der Stadt etwas zu sagen hatten.
    Da ging es auch schon los. Madame Augusta, die das Leben zu schade fand, um es mit Strümpfestricken und frommer Lektüre zu verbringen, hatte sich schnell erholt. Nicht daß sie sich über den Mord im Johanneum gefreut hätte, aber hinter ihrer Stirn surrten schon die Rädchen ihres wachen Geistes, und die Aussicht, daß dieser Sommer wenigstens nicht langweilig enden würde, war doch sehr angenehm.
    » Sagt mir, Wagner, dieser M … , nun, diese wahrhaft schreckliche Tat geschah ja in der Gelehrtenschule. Gewiß werdet Ihr auch die Damen im benachbarten Johannisstift dazu befragen müssen.«
    » Du meine Güte, Augusta, die frommen Konventualinnen!« Claes sah seine Tante mit jener Mischung aus Ungeduld und Amüsement an, die seine Frau nicht nur einmal zu ihm völlig exzentrisch erscheinenden Zornesausbrüchen veranlaßt hatte. » Ich kann mir nicht vorstellen, daß die zur Mittagszeit auf der Lauer liegen und beobachten, wer durch die Höfe und um die Schule herumschleicht.«
    » Auch fromme Damen haben Augen. Und Ohren. Und vor allem viel Langeweile«, sagte Augusta spitz und entschied, den hervorragenden Gedanken, der ihr gerade gekommen war, besser für sich zu behalten. Es reichte völlig, ihn in die Tat umzusetzen. Doch das würde sie Claes nicht auf seine hoch getragene Nase binden. Sie liebte ihren Neffen von Herzen, aber manchmal zeigte er doch deutliche Anflüge von männlichem Dünkel, die man am besten einfach ignorierte.
    » Ich bin ganz Eurer Meinung, Madame Kjellerup«, sagte Wagner und mied Claes’ erstaunten Blick. » Wir wissen nicht, wie der«, er räusperte sich und murmelte etwas, das sich wie Unhold anhörte, » wie er in das Johanneum gekommen ist. In der Tat. Der Pedell hat versichert, die Tür sei in der Mittagspause stets verschlossen. Früher soll es allerdings noch einen anderen Zugang von der Straße Hinter dem Breitengiebel gegeben haben. Das werde ich prüfen, ja. Dann hätte er allerdings über den Klosterhof gehen müssen, vorbei an der Schreiberei, den Ställen und Witwenwohnungen. Das wäre nicht klug, denn irgend jemand ist gewiß immer im Hof …«
    » Falls er, wer immer es war, schon

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