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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Johann Christian Wolf brummte dazu nur, dem sei so, der junge Monsieur sei dagewesen, ein angenehm ruhiger Mann, auch wenn er nur am Johanneum unterrichte. Er selbst habe seit elf Uhr, und zwar auf den Schlag elf Uhr!, in der Bibliothek nach einem Buch gesucht, das sein unfähiger Gehilfe falsch einsortiert habe. ›Die Reise ins Heilige Land ‹ , ein Bericht des Mainzer Domdekans Breidenbach. Ein Werk von unschätzbarem Wert, anno 1488 gedruckt zu Mainz, der Heimat des großen Gutenberg! Und nun sei es verschwunden. Ja, natürlich sei sein Gehilfe die ganze Zeit bei ihm gewesen, blöde wie ein Hackklotz, der Kerl, keine Ehrfurcht vor der Wissenschaft und den Schriften großer Männer. Überhaupt wisse heute niemand mehr den Wert der alten Schriften zu schätzen, früher …
    Das hatte aber niemanden interessiert. Die anderen Professoren waren ebenso wie der Rechenmeister und der Zeichenlehrer an diesem Tag nicht da. Am Gymnasium sei donnerstags nie Unterricht, auch finde keine öffentliche Vorlesung statt.
    Erst auf dem Weg zu Jensens Kaffeehaus war Claes eingefallen, daß er den Schüler, der sich nicht zum Essen in der Wohnung des Rektors eingefunden hatte, kannte. Nur flüchtig, er war ein Freund von Niklas, tatsächlich einer der sehr wenigen Freunde, und in den letzten Monaten einige Male im Neuen Wandrahm gewesen.
    » Habt Ihr alle einzeln befragt?« wollte Rosina wissen.
    » Nein«, sagte Claes, » nur den Rektor.«
    Wagner fügte hinzu: » Es war nur eine erste, ganz allgemeine Befragung. An einige der Herren«, er klopfte mit der Spitze seines Bleistifts auf den Zettel, auf dem ganz oben der Name Bucher stand, » werde ich noch weitere Fragen haben. Außerdem gibt es noch einen Rechen- und einen Zeichenmeister für die höheren Klassen und das Gymnasium. Sie waren nicht da, aber natürlich kannten sie den Toten. Und dann der Kantor. Der war heute mittag mit einigen der Jungen bei einem Leichenbegängnis. Johanneumschüler singen dort immer«, antwortete er auf Rosinas fragenden Blick. » Der Tote«, fügte er nach einer winzigen Pause hinzu, » scheint mir nicht gerade beliebt gewesen zu sein.«
    » Glaubt Ihr? Es hat niemand etwas gegen ihn gesagt. Eigentlich hat niemand überhaupt etwas über ihn gesagt.«
    » Das stimmt, Monsieur Herrmanns. Direkt hat niemand etwas Nachteiliges gesagt. Alle murmelten nur etwas von verdienstvoller Arbeit, von großem Wissen und frommem Lebenswandel. Alle waren erschrocken, das wohl, aber, nun ja, niemand schien zu trauern. Niemand sagte: Es ist furchtbar, der arme Mann. Wie kann jemand so etwas tun? Es hat auch niemand gesagt: Wer konnte so etwas nur tun? Als wollten sie es gar nicht wissen, als würde sich niemand wirklich wundern, daß der Tote, nun ja, daß er tot ist. Und daß er auf diese Weise starb.«
    Claes überlegte und schob mit einem kleinen Löffel ein paar Kuchenkrümel um einen Klecks zerlaufener Sahne hin und her. » Gewiß habt Ihr mit diesen Dingen mehr Erfahrung als ich, Wagner, aber in so einer Situation, wenn man fröhlich aus der Sonne kommt und nichts Schlimmeres erwartet als eine Klasse ungebärdiger Jungen, dauert es wohl ein bißchen, bevor das Erschrecken der Trauer Platz macht. Was haltet Ihr von der Sache, Rosina?«
    » Ich? Oh, nicht viel. Wenn er tatsächlich, wie Ihr sagt, Wagner, so unbeliebt war, dann wird man das leicht herausfinden. Auch warum. Irgendwann, gewöhnlich recht bald, werden die Leute doch stets geschwätzig. Wer irgend etwas weiß, das ihn selber in ein besseres Licht stellt, möchte das schnell mitteilen. Dann wird sich auch herausstellen, wer einen Grund gehabt hatte, den Toten so sehr zu hassen. Oder zu fürchten.«
    » Einen Lehrer?« Claes lehnte sich mit ersten Anzeichen von Ungeduld in seinem Stuhl zurück. » Jeder, der eine Schule besucht hat, hatte irgendeinen Lehrer, den er von Herzen haßte. Meiner hieß Klippvogel, es war in der Quarta, glaube ich. Er war ein widerlicher Mensch, roch ständig nach Gänseschmalz und Kampfer, verteilte die übelsten Kopfnüsse und Beleidigungen. Aber niemand von uns wäre auf die Idee gekommen, ihm so ein spitzes Ding in die Brust zu stechen.«
    » Spitzes Ding?« fragte Rosina. » War es denn kein Messer?« Claes Herrmanns hatte auf dem Weg von der Zollenbrücke zum Neuen Wandrahm nur von » erstochen« gesprochen.
    » Nein, es war ein seltsam spitzes Gerät an einem Holzknauf, eine lange Nadel, aber vierkantig geschliffen. Es muß irgendein Werkzeug sein.« Wagner griff nach

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