Die zerbrochene Uhr
Nähe zu ihrem Brust tuch brachte.
»Monsieur Curieux und ich«, unterbrach Mosbert schließlich den Redeschwall des französischen Korrespondenten, »wollen mit Eurem Prinzipal über Eure vorzüglichen Aufführungen sprechen. Meine Auftraggeber sind sehr interessiert an Akteuren, die nicht schon in jedem beliebigen Hoftheater bekannt sind. Und Monsieur«, er legte Curieux die Hand auf die Schulter und zog ihn mit sanftem Druck ein wenig zurück, »möchte darüber nach Paris berichten. Ihr seht, unser Gespräch ist von ernster Bedeutung. Wenn Ihr uns anvertrauen könntet, wo wir Monsieur Becker finden, wären wir Euch sehr verbunden.«
»Ungeheuer verbunden«, flötete Monsieur Curieux und versuchte erneut, diesem Gefühl mit Küssen Ausdruck zu geben, was ihm aber nicht gelang, da Rosina ihre Hände schnell in den Taschen ihres Rockes in Sicherheit brachte.
»Er hat uns auch eine kleine Sondervorführung versprochen«, fuhr Monsieur Mosbert fort, »schon in diesen Tagen, noch vor der Premiere. Gewiß werden wir dann das Vergnügen haben, auch Eure Kunst zu genießen. Es ist eine Schande«, er warf einen vorwurfsvollen Blick zur Pumpe, »Ihr solltet nicht so schwere Arbeit verrichten. Es könnte Eurer Stimme schaden, das wäre eine unverzeihliche Verschwendung.«
»Sorgt Euch nicht, Monsieur. Meine Stimme grämt sich nicht im mindesten, wenn meine Hände tätig sind.«
»Ihr seid sehr tapfer, Mademoiselle«, fiel nun wieder Monsieur Curieux ein, »sehr tapfer. Ach, tapfer für die Kunst. Das ist der tiefste Ausdruck echter Berufung. Ihr würdet uns überglücklich machen, ma petite Mademoiselle, wenn Ihr uns gleich eine Probe Eurer Talente geben könntet. Am besten mit Tanz. Das Ballett ist doch die höchste Kunst, ja die himmlischste, die … «
»Das mag sein, Monsieur«, sagte Rosina und wich notgedrungen wieder bis an die Pumpe zurück. »Aber mein Prinzipal erlaubt mir leider nicht, ohne seine Anleitung vorzutanzen. Ihr solltet ihn zuerst fragen.«
»Gewiß, Mademoiselle, sehr brav.« Monsieur Curieux schien sich ganz plötzlich ebenso zu langweilen, wie er gerade noch überschwengliche Begeisterung empfunden hatte. »Gewiß. Wenn Ihr uns nun sagtet, wo wir Euren Prinzipal finden? Wir sollten ihn nicht warten lassen, sondern eilen.«
Der Weg zum Krögerschen Hof war schnell erklärt, besonders, da er gleich neben dem Bremer Schlüssel lag, den die beiden Herren schon kannten, und eine Minute später sah Rosina nur noch ihre rasch kleiner werdenden Rücken, moosbraun und kupfergrün. Die Angst vor bäuerischen Schwielen an ihren eigenen Händen mußte größer gewesen sein als ihre Sorge um Rosinas Stimme, sonst hätten sie ihr gewiß die Arbeit an der Pumpe abgenommen.
Sie sah ihnen nach, nicht sicher, ob sie amüsiert oder ärgerlich war, und sah einen kleinen, dicken Mann im dunkelblauen Rock, den Dreispitz tief ins Gesicht gedrückt, in einiger Entfernung vorbeihasten. Auch wenn es zunächst so ausgesehen hatte, kam er nicht zum Dragonerstall, sondern verschwand im Valentinskamp. Sie hätte gerne gewußt, wohin Weddemeister Wagner so eilig unterwegs war. Seufzend griff sie nach dem Schwengel der Pumpe. Vom Nichtstun wurden der Eimer nicht voll und der Stall nicht zum Theater.
Sie waren zu viert, schneeweiß, und alle reckten die langen Hälse vor wie schußbereite Flinten. Das bösartige Gezischel aus ihren rotgelben Schnäbeln ließ selbst die Schwalben auf dem Dachfirst verstummen. Wagner war kein ängstlicher Mann und an Gauner und Spitzbuben jeder Art gewöhnt. Doch was unternahm man gegen diese Gänse, die den Eingang zum Klosterhof verteidigten, als gelte es das Leben?
»Weg da«, rief der Weddemeister, »weg da!« Er fuchtelte mit seinen Armen herum, stampfte mit den Füßen auf, was das größte Tier, einen stolzen Ganter, nur dazu animierte, sich mit kraftvollen Flügelschlägen und noch heftiger zischend vor ihm aufzurichten. Wagner liebte Gänse, wenn sie mit Äpfeln, Speck und Ingwer gefüllt kroß gebraten und mundgerecht zerteilt auf seinem Teller lagen. Aber diese waren absolut lebendig und angriffslustiger als jeder Wachhund.
»Weg da!« rief er noch einmal. »Macht Platz, ihr blöden Viecher.«
Er wagte einen Schritt vorwärts, und schon schnappte der scharfe Schnabel des Ganters nach seinen Knöcheln. Womöglich hätte er kapitulieren und wieder gehen müssen, was wirklich sehr blamabel gewesen wäre, aber das Geschrei der Gänse lockte eine stämmige Frau aus der Diele des
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