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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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recht. Sehr komische Namen. Godard, sagtet Ihr. Und der Vorname? Wißt Ihr den auch?«
    » Der Vorname? Wo denkt Ihr hin? Den Vornamen von einem fremdländischen Mann!?«
    Ihre Stimme war längst nicht mehr gedämpft, schon gar nicht flüsternd, sondern klang laut und klar über den Hof, und schon öffnete sich eines der Fenster im ersten Stock der Klosterschreiberei.
    Ein Mann lehnte sich heraus, im schwarzen Rock, darunter ein schlichtes weißes Hemd mit noch offener schmaler Halsbinde. Sein dünnes Haar war kurz geschnitten, dunkelbraun und voller Silberfaden.
    »Mieke«, rief er streng in den Hof hinunter und sah neugierig auf den Weddemeister. »Willst du nicht endlich wieder zu deiner Wäsche zurück? Oder soll die zu Mus kochen?«
    »Sofort«, rief die Wäscherin, »ich bin schon weg!«, knickste eilig, flüsterte Wagner mit einem Zwinkern schnell zu, wenn sie ihm den zerrissenen Strumpf stopfen solle, möge er ihn nur bald bringen. Ihre Tür sei immer offen.
    Damit rannte sie über den Hof zum Stall, schob den Balken von der Holztür, und bevor die Gänse sich erneut auf ihn stürzen konnten, war Wagner, so flink es die Würde seines Amtes zuließ, durch die Einfahrt verschwunden.
    Allerdings nicht nur wegen der Gänse. Eigentlich hatte er sich umgehend vom Klosterschreiber in den Keller führen und den alten Gang hinüber zum Johanneum zeigen lassen wollen. Aber das mußte nun warten. Godard, hatte sie gesagt. Godard. Mit einem G am Anfang. Ein Handwerker mit einem G am Anfang seines Namens, den der Tote gekannt hatte? Das konnte eine erste Spur sein.
    Am vergangenen Abend hatte er im Sezierraum des Eimbeckschen Hauses Dr. Reimarus getroffen. Der Tote, hatte der gesagt und sich das Blut von den Händen gewaschen, sei ein kerngesunder Mann gewesen. Die Nadel, oder was immer für ein Gerät die Tatwaffe sei, habe direkt ins Herz getroffen und zwei Kammern durchstoßen, der Tod müsse sofort eingetreten sein. Nein, man brauche nicht allzuviel Kraft für so einen Stoß, dieser sei gut getroffen, glatt zwischen den Rippen hindurch und ins Herz. Das gehe ohne allzu große Mühe, wenn man wie in diesem Fall gleich richtig treffe. Das Gewebe sei nicht so besonders fest, und auch wenn der Herzmuskel nicht gerade wie ein Weizenbrot sei, so sei er für eine so gut gefeilte Waffe recht leicht zu durchstechen. Diesen Vergleich fand Wagner, der Weizenbrot liebte, unpassend. So waren die Ärzte nun einmal, ganz besonders die Chirurgen. Wann immer er in der nächsten Zeit das Glück haben würde, Weizenbrot serviert zu bekommen, würde er an ein blutiges, tödlich zerstochenes Herz denken müssen.
    Er füllte Wasser aus der großen Tonne in eine Blechschüssel, holte die Tatwaffe aus seinem Rock, wickelte sie behutsam aus dem Tuch und legte sie in das Wasser. Das getrocknete Blut löste sich nicht gleich, er mußte tüchtig mit dem Tuch reiben, bis er auch die letzten Reste abgekratzt hatte. Dr. Reimarus sah ihm neugierig über die Schulter.
    »Na? Schon etwas zu erkennen?«
    Wagner schüttelte den Kopf. Er hob das Werkzeug aus der Schüssel, griff nach einem Leintuch und trocknete es behutsam ab. Dann trat er zu einem der Fenster, die als einzige Licht in den Souterrainraum ließen, und drehte es langsam in den Fingern. Plötzlich hielt er in der Bewegung inne, da reichte ihm Reimarus auch schon seine Lupe. Sie hatten es gleichzeitig entdeckt. Es war auf den ersten Blick nicht viel mehr als ein Kratzer, genauer gesagt zwei ineinander geschlungene Kratzer. Tatsächlich, das zeigte sich mit der Hilfe des geschliffenen Glases, waren es eingeritzte Initialen. Kunstvoll eingeritzt, mußte Wagner zugestehen, kunstvoller, als es ein einfacher Schmied gekonnt hätte. Hier war einer am Werk gewesen, dessen Hände feine Arbeiten gewöhnt waren. Und der eine Lupe besaß. Das machte den Kreis der möglichen Besitzer schon viel kleiner, und die Initialen, ein P und ein G, machten ihn sogar sehr viel kleiner. Jetzt war es nur noch eine Sache von Zeit und Beharrlichkeit, einiger Mühe und einer Prise Glück, den Täter oder zumindest den Besitzer dieses Werkzeugs zu finden.
    Das war gestern abend gewesen, und schon jetzt, nur wenige Stunden später, hatte er dank einiger bösartiger Gänse eine fette Spur.
    Wagner war noch nie in einer Uhrmacherwerkstatt gewesen. Er besaß keine Uhr. Wozu auch? Die Schlagwerke der Kirchturmuhren zeigten überall in der Stadt alle Viertelstunde die Zeit an, das war ihm genug. Außerdem konnte er sich

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