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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Klosters. Sie griff nach dem Reisigbesen, der an der Hauswand lehnte, machte mit breitgezogenen Lippen ein paar seltsame Geräusche, die denen der Gänse verblüffend glichen, und ohne jeden Widerstand ließen sich die Tiere in den Stall treiben. Sie schloß die Brettertür, schob den Balken über die hölzernen Haken und drehte sich vergnügt zu Wagner um.
    »Ich schließe sie lieber ein, sonst fangt Ihr sie doch noch und sperrt sie in die Fronerei«, sagte sie, was Wagner nicht besonders lustig fand. Er beugte sich zu seinem Knöchel hinunter, besah kummervoll das Loch im Strumpf – es war ein ziemlich neuer Strumpf – und beschloß, beim nächsten Klosterbesuch eine kräftige Gerte mitzubringen.
    Die Frau stand nun vor ihm, die blaugrau gestreiften Röcke und die große Schürze darüber naß und fleckig, die geröteten Fäuste in die molligen Hüften gestemmt, und sah ihn neugierig an.
    »Der Weddemeister«, sagte sie spöttisch, »welche Ehre. Ich bin aber nur die Klosterwäscherin. Wenn Ihr zum Pedell oder zum Rektor wollt, habt Ihr den falschen Eingang genommen. Oder wollt Ihr etwa die Domina besuchen?«
    Wagner schüttelte den Kopf. Er war nicht in der Stimmung, Erklärungen abzugeben. »Die Wäscherin«, sagte er, »aha. Wart Ihr gestern auch hier? Gestern vor der Mittagszeit?«
    »Ich bin an jedem Tag hier. Aber wenn Ihr wissen wollt, ob ich den gesehen habe, der den Lehrer umgebracht hat, dann ist die Antwort nein. Ich habe niemanden gesehen, ich habe nämlich keine Zeit, nichtsnutzig im Hof rumzustehen, wie manche andere Leute. Gestern erst recht nicht. Da war das Bettleinen dran, morgens haben wir die Wäsche gekocht, und mittags war ich mit Josefa auf dem Vorsetzen«, sie zeigte mit ihrem kräftigen Daumen über die Schulter, »zum Spülen. Da sieht man nichts als die Bleiche und den Garten der Domina auf der anderen Fleetseite. Und die dummen Kerle, die von den Schuten noch dümmere Sachen rüberrufen.«
    Kein Wunder, dachte Wagner, daß sie so gut mit den bissigen Gänsen umzugehen verstand.
    Sie kam noch ein bißchen näher, ließ schnell ihren Blick über die Fenster der Klosterschreiberei, des Pförtnerhauses und der Witwenwohnungen kreisen, ob da nicht jemand stehe und sie beobachte. Ihre Augen, grau wie der Himmel im November, blitzten, und ihr Gesicht war nicht nur von der Arbeit am Waschtrog und am Fleet so gerötet wie ihre Hände.
    »Der Lehrer«, sagte sie eifrig und mit gesenkter Stimme, »der war ein frommer Mann. Das sah man, so streng wie der aussah, immer so eine heiligmäßige Miene. Seine Nase paßte auch dazu, die trug er nämlich so hoch, als wolle er schon mal beim Himmel anklopfen. ›Schönes Wetter heute« oder auch nur ›Guten Morgen‹, so was kam dem nicht über die Lippen, wenn er eine traf, die Holzschuhe anhat. Man darf ja über Tote nichts Schlechtes sagen. Ich sag auch nichts Schlechtes, nur was Wahres: Nett war der nicht. Ich bin auch nicht dafür, daß man Kindern alles durchgehen läßt, und Jungs brauchen ab und zu ein paar hinter die Ohren, damit sie nicht zu übermütig werden, sondern tüchtige Männer. Aber der Donner? Ich glaub nicht, daß die Jungs in seiner Klasse jetzt traurig sind, das glaub ich wirklich nicht. Der war auch immer so leise. Plötzlich stand er hinter einem … «
    »Hinter einem? Hier? In diesem Teil des Klosters? Was hatte er hier zu tun?«
    »Was weiß ich? Aber ich sage Euch was, das war an einem Tag im Juni, das weiß ich genau, weil die Jungfer Domina bald darauf Geburtstag hatte, und den hat sie nun mal im Juni. An so einem Tag im Juni jedenfalls stand der plötzlich im Hof, ich hab ihn gar nicht kommen hören, und die Gänse waren auf der Bleiche hinterm Klosterfleet. Ja. Plötzlich stand er da und glotzte zu den Fenstern der Jungfrauen rauf, und dann ging er zur Tür, na, zu der da.« Sie sah streng in Wagners verständnisloses Gesicht – es gab viele Türen, die vom Hof in die verschiedenen Teile des Klosters führten – und zeigte auf das Portal direkt gegenüber der Hofeinfahrt. Sie sah ihn triumphierend an, doch Wagner verstand immer noch nicht, was daran so verwerflich gewesen war.
    »Aha.« Er zog sein großes, blaues Tuch aus der Rocktasche und wischte sich die feuchte Stirn. »Zu der Tür da. Ihr müßt verzeihen, aber ich kenne mich hier nicht aus. Vielleicht war er mit einer der Jungfrauen bekannt und wollte einen Besuch machen. Was ist das für eine Tür?«
    »Hinter der ist die Klosterdiele, und da ist auch die Treppe

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