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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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saßen, hatten ihre Pfoten so akkurat nebeneinandergestellt, als wären sie kleine Wachsoldaten aus Porzellan. Mette führte ein strenges Regiment. Sie hatte sich nicht verändert.
    Ein Mädchen kam aus dem Portal des Stifts. Ihr Rock aus schon etwas verwaschenem, doch penibel gebügeltem blauen Kattun wehte unter der Eile ihrer Schritte, die Bluse unter dem Mieder war hochgeschlossen und genauso makellos weiß wie die große Schürze und die brave Haube, die ihr aschblondes Haar trotz der Hitze des Nachmittags fast vollständig bedeckte.
    »Madame Kjellerup?« Das Mädchen, ein wenig atemlos und rotbäckig, knickste und sah Augusta aus blauen Augen unter nahezu farblosen Wimpern neugierig an. »Die Ehrwürdige Jungfrau Domina wartet schon. Wenn Ihr mir schnell folgen könntet?«
    Nein, Mette hatte sich wirklich nicht verändert. Das Mädchen, den Befehl seiner Herrin im Nacken, hielt Augusta wiederum knicksend die schwere Tür auf, dann eilte sie ihr voraus quer durch eine große Diele unter einem uralten Kreuzgewölbe, zur Zeit der Mönche das Sommerrefektorium, drei steinerne Stufen hoch und durch einen Durchgang in einen langen Flur. Durch zahlreiche hohe Fenster an seiner linken Seite fiel helles Sonnenlicht, im langgestreckten Hof dahinter scharrte friedlich ein Hühnervolk im Schatten einiger Linden. Immer wieder sah sich das Mädchen unruhig nach der Besucherin um, die gar nicht daran dachte, sich zu beeilen, sondern mit aller Würde ihrer Jahre durch die Gänge schritt, sich auch Zeit nahm, hier einen Blick auf einen besonders hübschen Schmuckstein im Gewölbe zu werfen, dort auf ein vom Alter geschwärztes Porträt. Und dann – endlich – öffnete das Mädchen ihr eine mattglänzende, nach Honigwachs duftende Tür, knickste noch einmal und verschwand wie ein Vogel, dem die Katze zu nah ist.
    »Augusta!« sagte Mette van Dorting. Und Augusta sagte: »Mette!«
    Immerhin. Im ersten Schritt waren sie sich einig: keine hohlen Förmlichkeiten.
    Mette van Dorting stand in der Mitte eines kostbar möblierten Raums. Sie war eine hochgewachsene Frau, fast noch so schlank, wie sie es als junges Mädchen gewesen war. Ihr Kleid aus mattgrüner und silbergrau-weiß gestreifter leichter Seide war von erlesener Eleganz, die zarten Spitzen an Ärmeln und Ausschnitt stammten kaum aus Tondern, sondern zumindest aus Lyon, wenn nicht gar aus Brüssel, und die Haube auf ihrem schlicht, aber kunstvoll frisierten Haar war nicht mehr als ein zarter Hauch durchscheinenden Batists. Unter dem Brusttuch schimmerten zwei Reihen grauer Perlen, die gleichen, die den daumennagelgroßen Aquamarin an ihrem rechten Mittelfinger umrahmten. Augusta wußte wohl, daß die Hamburger Konventualinnen nicht wie anderswo üblich von der Kirche, sondern vom Rat patroniert wurden und so auch keine kirchlich schlichte Tracht trugen, aber ein bißchen weniger weltlich hatte sie sich Mettes Garderobe doch vorgestellt.
    Die Domina betrachtete ihre Besucherin aus Augen, die immer noch so klar und blau waren wie der Himmel im Spätsommer (allerdings erheblich kühler), und Augusta fand, daß Mette eine sehr schöne junge Frau gewesen sein mußte. Früher hatte sie das nicht bemerkt. Ihre Schönheit war gewiß auch damals schon eher streng gewesen, ohne diese mädchenhafte Weichheit und Süße, die Männer trotz aller Rechenexempel bei der Brautwahl bevorzugten. Augusta erinnerte sich nicht an Mettes Vater. Er mußte jedoch ein vorausschauender Mann gewesen sein, der sein Kind und seine Geschlechtsgenossen ohne Sentimentalität einzuschätzen wußte, wenn er die einzige Tochter unter seinen sechs Kindern schon früh in das Stift einkaufte, für eine Frau aus guter Familie neben der Ehe die einzige würdige Versorgung.
    Dann saßen Augusta und Mette van Dorting, nur durch ein weißlackiertes Tischchen mit modischer chinesischer Malerei getrennt, in zierlichen, gleichwohl bequemen Sesseln mit gepolsterten Lehnen. Zwei Türen öffneten nach links den Blick in ein Lese- und Arbeits-, nach rechts in ein Speisezimmer. Weitere Räume schlossen sich zur Flurseite an. Das große Fenster des Salons war weit geöffnet, Vogelgezwitscher lag in der Luft, und der Blick über die Kleine Alster bis zu den roten Dächern der engbebauten Straßen am gegenüberliegenden Ufer, über den Garten mit dem kleinen Lusthaus und die Bleiche war ein Labsal nach der Kutschfahrt durch die heiße, staubige Stadt.
    » Du wohnst sehr hübsch und komfortabel, Mette“, begann Augusta, weil

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