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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Lehrer das behauptet.
    Godards Gesicht war deutlich anzusehen, daß er an Donners Behauptung zweifelte. Er hatte die Uhr also noch einmal geöffnet, weitere drei Tage in der Werkstatt behalten und gefunden, daß das Uhrwerk zuverlässig und pünktlich schlug und auch – anders als vor seiner Reparatur – präzise die Zeit anzeigte. Er nehme an, daß Monsieur Donner, ein vielbeschäftigter Mann, gewiß den Kopf ständig voller Gedanken und Ideen für eine Verbesserung des Unterrichtes, womöglich vergessen hatte, die Uhr richtig ein- oder auszuschalten. So etwas sei nicht ungewöhnlich, und die Kunden zögen es vor, den Fehler in der Arbeit der Uhrmacher zu sehen. So sei das nun einmal.
    »Und wann hat Monsieur Donner die Uhr wieder abgeholt?«
    »Er hat sie nicht abgeholt. Ich habe sie ihm gebracht.“ Normalerweise mache sein Gehilfe solche Botengänge, aber in diesem Fall, Monsieur Donner sei recht ungehalten gewesen, habe er es für besser gehalten, die Uhr selbst zu überbringen und dabei Monsieur Donner den Mechanismus noch einmal zu erklären. »Was der jedoch ablehnte. Er kenne seine Uhr am besten und brauche keine Unterweisung.«
    »Es war am Mittwoch, nicht wahr, Vater?« Emma erhob sich und stellte sich neben ihn. »Am Mittwoch. Ich erinnere mich genau. Ich habe die Uhr selbst in das Seidentuch eingeschlagen.«
    »Mittwoch? Wenn du es sagst, wird es stimmen. Emmas Gedächtnis«, wandte er sich mit einem kleinen Lächeln an Wagner, »ist viel besser als meines.«
    »Ihr habt ihm die Uhr also gebracht. In seine Wohnung, nehme ich an.«
    »Aber nein. Er wünschte die Uhr nicht in seine Wohnung, sondern in die Schule gebracht zu bekommen. Am Mittwoch, wie meine Tochter sagte, bin ich in der Pause in das Johanneum gegangen. Es ist ja nur wenige Schritte von hier. Ich denke, es war einige Minuten nach halb zwölf. Ja, ich erinnere mich, die Uhr von St. Petri schlug halb, und die geht stets ein wenig nach.«
    »In der Mittagspause, aha, kurz nach halb zwölf. « Endlich wurde die Unterredung interessant. Leider Mittwoch, Donnerstag wäre ihm sehr viel lieber gewesen, aber immerhin in der Mittagspause. »Wie seid Ihr in die Schule gekommen? Das Portal ist während der Pause immer verschlossen.«
    »Das mag sein, aber als ich kam, war es das nicht. Ich nehme an, Monsieur Donner hat dem Pedell, oder wer immer die Schlüssel verwaltet, Bescheid gegeben. Er wußte, daß ich an diesem Tag kommen würde. Und nun, Monsieur, würde ich gerne zu meiner Arbeit zurückkehren. Mehr kann ich Euch wirklich nicht sagen.«
    »Nur noch eine kleine Frage. Dann überlasse ich Euch sofort wieder Eurer Pflicht. Warum kam Monsieur Donner zu Euch? Es gibt viele Uhrmacher in der Stadt.«
    »Viele lutherische, meint Ihr? Und nun sucht Ihr die finstere Ursache, warum er ausgerechnet zu einem Hugenotten kam.« Godard lachte, und es klang nicht bitter, sondern rundum amüsiert. »Ich weiß, sehr wohl, Monsieur Wagner, daß Ihr denkt, ein Lehrer der Gelehrtenschule würde einen lutherischen Uhrmacher vorziehen. Aber die Zeiten ändern sich, habt Ihr das noch nicht bemerkt? Eine Uhr ist eine Uhr, ein wertvolles Kunstwerk von großer Raffinesse, und sie braucht die richtigen Augen und Hände. Ob die einem Lutheraner, einem Mennoniten, einem Katholiken oder Calvinisten, ja selbst einem Juden gehören, ist ihr gleichgültig. So wird es auch ihren Besitzern gleichgültig, wenn sie nicht gerade Prediger sind. Glaubt mir, hätte ich nur Kundschaft, die meinem Glauben angehört, wäre das Kleid meiner Tochter ganz gewiß nicht aus so feinem Kattun. Monsieur Donner kam zu mir, weil er wußte, daß ich mein Handwerk verstehe. Nur deshalb, aus keinem anderen Grund. Und ich kann Euch versichern, er zeigte sonst keine besondere Vorliebe für mich. Was er über meine Tochter dachte, möchte ich nicht erörtern. Ich glaube allerdings, daß er kein besonders einnehmender Mensch war. Seine Augen zeigten weder Wärme noch Heiterkeit. Obwohl er sich doch als gewiß sehr braver Lutheraner und Auserwählter des Scholarchats der Gnade unseres Herrn sicher sein konnte.«
    Godards Augen blitzten, und Wagner kam sich wie ein Tölpel vor. Wahrscheinlich war er einer. Es stimmte ja, eine Klosterwäscherin, ein Knopfmacher oder ein, ja, auch ein Weddemeister würde sich kaum eine hugenottische Werkstatt aussuchen. Selbst wenn der Meister wie Godard schon in der zweiten Generation in der Stadt lebte. Aber einer Familie wie den Herrmanns’, die alle Tage mit Händlern,

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