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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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makellos rund.
    »Wie diese, ziemlich genauso groß wie diese.« Auf seiner Hand lag ein mit Schildpatt überzogenes Uhrgehäuse, in das filigrane silberne Vögel, Blumen und Blattranken aus Silber eingelegt waren. Er ließ den Deckel aufspringen, seine Berührungen waren behutsam, fast zärtlich, in seinem Blick lag Ehrfurcht vor dem Wunderwerk an Präzision und Schönheit in seiner Hand. Ein durch einen Glasdeckel geschütztes silbernes Zifferblatt kam zum Vorschein.
    »Diese kommt auch aus London«, sagte er. »Sie stammt aus den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts. Die von Monsieur Donner wird zwanzig oder vielleicht auch dreißig Jahre älter sein. An Präzision sind sie einander nahezu gleich, diese hier ist nur wertvoller ausgestattet. Donners Uhrgehäuse ist auch aus Silber, aber der Deckel hat bis auf eine kleine Ziselierung in der oberen Mitte, eine efeuähnliche Ranke um eine schlichte Blüte, wenn ich mich richtig erinnere, keinen weiteren Schmuck. Das Zifferblatt auf seiner Uhr zeigt genau wie diese im äußeren Kreis die arabischen Zahlen in Fünfersprüngen, also fünf, zehn, fünfzehn bis sechzig, die sind für den Minutenzeiger, im inneren Kreis in römischen Zahlen für die Stunden, I, II, III bis XII. Und seht Ihr? Die vergoldete Sonne auf diesem Zifferblatt zeigt den Tag an, am Abend ist sie weitergewandert, und der Mond erscheint an ihrer Stelle. Monsieur Donners Uhr dagegen zeigt nur die Stunden und Minuten. Wenn das Zifferblatt seiner Uhr auch einige sehr fein gearbeitete Verzierungen aufweist, so doch keine Vergoldungen. Allerdings hat sie auf dem Unruhkolben unter dem Zifferblatt ein sehr delikat gemaltes Emaillebildnis einer Dame. Doch bitte ich Euch sehr, danach nicht selbst zu suchen. Wenn ihr die Uhr öffnen wollt, um das Bildnis zu prüfen, wobei ich nicht weiß, wozu das gut sein könnte, bringt mir die Uhr. Oder, wenn Euch das lieber ist, einem anderen Uhrmacher. Uhren sind empfindliche Wesen. Sie wollen zart und nur mit dem richtigen Werkzeug behandelt sein.«
    Diese Erklärung mochte stimmen, aber gerade in diesen Tagen fand Wagner sie höchst unpassend.
    »Wo wart Ihr eigentlich gestern?« fragte er, schon die Türklinke in der Hand. »Die Werkstatt war geschlossen.«
    »Gestern ist die King George eingelaufen. Wir waren seit dem späten Vormittag am Hafen und haben auf unsere Fässer gewartet. Sie sollten ihres kostbaren, empfindlichen Inhalts wegen in der Kapitänskajüte verstaut werden, was aber nicht geschah. Jedenfalls wurden sie erst heute morgen entladen.«
    Wagner wußte nicht viel von der Seefahrt und ihren Gewohnheiten. Daß ein Kapitän drei Frachtfässer in seiner Kajüte verstaute, hatte er noch nie gehört.
    In Jensens Kaffeehaus war es noch still. Erst in einer guten Stunde, wenn um zwölf Uhr die Börse schloß, würden sich die niedrigen Räume schlagartig füllen. In einer Ecke saßen zwei Männer in schlichten dunklen Röcken in ein leises Gespräch vertieft, Advokaten vielleicht oder Reisende aus England oder Dänemark. Claes kannte sie nicht. Den Mann im eleganten grünseidenen Rock an einem der vorderen Fenster kannte er hingegen gut. Seine frischgepuderte Perücke hätte eher zu einer Soirée als zu einem vormittäglichen Kaffeehausbesuch gepaßt, mit tadellos manikürten Fingern hielt er eine mit Perlmutt belegte Lorgnette und las in einer Pariser Zeitung: Der französische Gesandte leistete sich heute die Extravaganz, das vornehme Baumhaus am Hafen mit dem Kaffeehaus bei der Börse zu vertauschen. Er nickte Claes mit trägem Lächeln zu und vertiefte sich wieder in seine Lektüre. Was dem nicht unangenehm war. Der Vertreter Frankreichs war für seine Geschäfte ein wichtiger Mann und mußte angemessen hofiert werden. Aber leider war er auch sterbenslangweilig, ganz besonders für einen Herrn aus Paris, von dem noch funkelnder Esprit und ein gewisses Maß an Interesse an Klatsch und Unterhaltung zu erwarten gewesen wären.
    »Monsieur Herrmanns, Ihr schwänzt heute die Börse? Was bringt Euch um diese frühe Stunde zu Müßiggang und in unser sündiges Kaffeehaus? Das wird Euch ruinieren.«
    Ein großer Mann, breit und kräftig, das volle widerspenstige Haar nur mühsam mit einem schwarzen Band im Nacken gebändigt, stand im senffarbenen Rock an der Tür zum Billardraum, die Enden seiner Halsbinde hingen locker und tintenbefleckt über seiner grün und weiß geblümten Weste, und er sah ganz so aus, als sei Müßiggang sein liebstes Tagewerk. Was völlig

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