Die zerbrochene Uhr
feinen Mechanismen wieder aus dem Takt bringen. Die Gesandtschaft ist gut bewacht, aber Eure Sorge ist sehr freundlich.«
»Es ist weniger Sorge als Wachsamkeit, Monsieur«, sagte Wagner streng, »das gehört zu meinem Amt.« Er nannte endlich Namen und Stellung. Anders als er es sonst gewohnt war, beunruhigte die Erwähnung der Wedde die beiden Godards nicht.
»Dann, Monsieur, können der Uhrenautomat und mein Haus sich um so sicherer fühlen«, sagte Godard, und Wagner war nicht sicher, ob sich hinter der ergebenen Verbeugung des Uhrmachers eine gute Portion Spott verbarg. Wenn Emma überhaupt eine Regung zeigte, so nicht mehr als das Aufblitzen von Neugier in ihren Augen.
»Nun gut.« Wagner erhob sich, wippte einmal auf den Fußballen auf und ab, verschränkte seine Hände hinter dem Rücken und sah den Uhrmacher so durchdringend wie möglich an. »Nun zu meinem Anliegen. Es handelt sich nur um eine Belanglosigkeit, nicht mehr als eine Frage. Oder zwei, ja. Es geht um Monsieur Donner, um den Lehrer, der vorgestern im Johanneum«, er hüstelte, als sei ihm das Wort, das er nun aussprechen mußte, äußerst peinlich, »ja, der getötet wurde. Von unbekannter Hand. Ihr habt gewiß davon gehört, und wenn Mademoiselle diese unerfreulichen Dinge erspart bleiben sollen, vielleicht hat sie in der Küche zu tun … «
»Meine Tochter hat selten in der Küche zu tun, Monsieur Wagner, sie zieht die Arbeit mit den Uhren dem Zwiebelschneiden und Fleischklopfen vor. Fragt nur, was Ihr zu fragen habt. Allerdings sollten wir dazu besser zurück in die vordere Werkstatt gehen. Zwischen all diesen halbausgepackten Fässern redet es sich nicht gut. Wenn ich bitten darf?« Höflich ließ er den Weddemeister vorausgehen, bot ihm den gepolsterten Stuhl für die Kundschaft an, und als Wagner mit einer raschen Handbewegung ablehnte und stehen blieb, blieb auch er stehen. »Ihr wollt gewiß fragen, ob ich Monsieur Donner gekannt habe.«
Wagner nickte, und der Uhrmacher beugte sich über seinen Arbeitstisch und nahm ein kleines metallenes Werkzeug auf, das wie ein dicker, aber kopfloser Frosch mit gestreckten Armen und Beinen aussah, die über eine Schraube in seinem »Bauch«, eine mandeldicke Metallscheibe, beweglich waren. Er steckte die dünnen, nach außen gedrehten Füßchen in einen silbernen Uhrdeckel, drückte sie sanft auseinander, und Wagner sah, wie sich die »Arme«, an den Enden pfeilspitz, um den Bruchteil eines Zolls näherten. Der Abstand ihrer beiden Spitzen entsprach nun genau dem inneren Maß des Deckels. Der Uhrmacher sah auf sein seltsames Meßinstrument, nahm es aus dem Deckel und steckte es behutsam an seinen Platz in der Halterung an der Wand.
»Ich habe ihn gekannt, ja, aber nicht gut, wie gewiß viele andere. Noch vor wenigen Tagen war er in meiner Werkstatt. Er besaß eine sehr schöne Taschenuhr, sicher habt Ihr sie bei ihm gefunden, er trug sie immer in der Rocktasche. Ein wirklich gutes Stück von Daniel Quare. Das Schlagwerk funktionierte nicht mehr richtig … «
»Ein Schlagwerk?« Wagner wußte nichts von Uhren, aber er wußte, daß ihn das Schlagwerk der Tischuhr in der Stube des Weddesenators van Witten stets erschreckte. »Seid Ihr sicher? Ist es nicht sehr störend, wenn während des Unterrichtes alle Viertelstunde oder Stunde die Uhr anschlägt?«
»Ganz gewiß ist es das. Aber wie ich sagte, es ist eine Uhr von Quare.«
»Mein Vater«, erklärte Emma und setzte sich mit anmutigem Raffen ihrer Röcke auf den gepolsterten Stuhl für die Kunden, »will damit sagen, daß diese Uhr erlaubt, das Schlagwerk ganz nach Belieben an- oder auszuschalten. Monsieur Quare war einer der ersten, der Uhren mit einem solchen Mechanismus gebaut hat.«
„Richtig, und genau dieser An- und Ausschalt-Mechanismus war nicht mehr zuverlässig.«
Monsieur Donner habe das natürlich sehr gestört. Aber die Uhr habe auch sonst eine Überholung nötig gehabt. Sie sei voller mit winzigen Staubpartikeln ausgehärtetem Öl gewesen. Es sei ein Wunder, daß sie überhaupt noch gegangen sei, das jedoch ohne Zweifel und schon seit geraumer Zeit unpünktlich, wovon Monsieur Donner allerdings nichts erwähnt habe. Er sei sicher, daß die Uhr erst vor wenigen Jahren von unfähigen Händen überholt worden sei. Mit zuviel Öl. Sogar viel zuviel Öl. Er, Godard, habe seine Arbeit gewissenhaft ausgeführt, dennoch habe es ein Problem gegeben. Auch nach der Reparatur ging die Uhr nicht ganz zuverlässig, jedenfalls hatte der
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