Die zerbrochene Uhr
falsch war. Johann Bode hatte es vom Hütejungen zum Übersetzer aus dem Französischen, Italienischen und Englischen und zum Besitzer einer florierenden Druckerei und Buchhandlung gebracht, das wäre mit Müßiggang kaum möglich gewesen.
»Wahrscheinlich habt Ihr recht, aber Ihr wißt ja, die Kunst der Erholung ist ein Teil der Kunst der Arbeit.«
»Ein kluger Satz. Dann erholt Euch am besten mit uns. Lessing und ich streiten wieder einmal herum, das ist allemal amüsanter als das Gerede über den festen Stand der Mark Banco.«
Claes war zwar nicht sicher, ob das stimmte, aber er folgte Bode bereitwillig. An dem ovalen Tisch im Billardzimmer, an dem sich gewöhnlich die passionierten Kartenspieler um Haus und Hof oder doch zumindest um etliche Mark lübisch brachten, begrüßte Claes Monsieur Lessing, den umstrittenen Literaten und Denker, der seit dem letzten Jahr Kritiker am neuen Theater beim Gänsemarkt und schon häufig Gast in seinem Haus gewesen war. Neben ihm saß Lazare Curieux, von dem Claes wußte, daß er gerne ein Literat gewesen wäre, aber nur als Korrespondent einiger französischer Zeitungen seinem Namen Ehre machte. Mehr oder weniger. Den dritten am Tisch, Curieux stellte ihn als Monsieur Mosbert aus Mannheim vor, hatte er nie gesehen. Ein spitznasiger Mann von etwa vierzig Jahren und noch neu in der Stadt. Er wolle ein festes Theater in Mannheim gründen, erklärte Bode, und Lessing gebe sich alle Mühe, ihm dieses Unternehmen, das ihn und seine Auftraggeber ganz gewiß in den Ruin treiben werde, auszureden. Aber über so unerfreuliche Angelegenheiten wollte Lessing nun nicht mehr reden.
»Monsieur Herrmanns«, er schob mit weitausholender Geste Tintenfaß, Kaffeetassen und leergerauchte Tabakspfeifen zur Seite, »Ihr kommt wie gerufen.« Nach kurzem Blättern fischte er einen Bogen aus dem Stapel, den er gerade beiseitegeschoben hatte, und legte ihn vor sich auf den Tisch. »Wir brauchen einen unparteiischen Rat. Ihr als ein Mann, der der Literatur in keiner Weise verbunden ist, kommt dazu gerade recht.«
Wenn Claes auch die Lektüre von Romanen und ganz besonders von Versen für einen ausgesprochen weiblichen Zeitvertreib ohne berechenbaren, also sinnvollen Nutzen hielt, fand er doch nicht, daß Lessings Einschätzung vollkommen angemessen war, aber einem Mann, der wie Lessing nur der Literatur und dem Theater lebte, mochte das wohl so erscheinen.
»So setzt Euch doch«, Lessing beugte sich vor und zog einen weiteren Stuhl an den Tisch, »der schlaue Bode übersetzt gerade einen neuen englischen Roman, A Sentimental Journey Through France and Italy. Es ist eilig, weil die Veröffentlichung schon für den September angekündigt ist, und die Subskribenten dürfen nicht verstimmt werden. Ihr kennt ja Bode: Immer fleißig, aber auch immer auf die letzte Sekunde.«
»Spott trifft stets den Spötter.« Bodes Bariton dröhnte vergnügt durch das Zimmer. Er balancierte ein Tablett mit zwei dampfenden Tassen, drei Gläsern und einer Karaffe Portwein. »Ich habe mir erlaubt, Jensen das Tablett abzunehmen, bevor er damit hinter seinem Schanktisch einschlief. Für Euch einen Kardamomkaffee, Monsieur Herrmanns. Oder habt Ihr etwa Eure Gewohnheiten gewechselt?«
Er verteilte Tassen und Gläser, die zweite Tasse war für Monsieur Mosbert und duftete mehr nach Zimt als nach Kaffee, und stellte die Karaffe auf einen winzigen leeren Fleck inmitten der Papierbögen. Dann ließ er sich auf seinen Stuhl fallen, der unter dem mächtigen Körper bedrohlich knarzte, füllte die Gläser und rieb zufrieden die Hände, die eher einem Schmied als einem Literaten zu gehören schienen.
»Wie Lessing schon sagte«, fuhr er fort, »wir können uns nicht einigen. Lassen wir also keinen Mann der Worte, sondern einen Mann der Zahlen entscheiden. Mr. Sterne hat seine Reise sentimental genannt. Es gibt kein deutsches Wort, das dies zutreffend übersetzt, und Lessing beharrt nun auf einer neuen Wortschöpfung, natürlich seiner Wortschöpfung, die mir sehr befremdlich erscheint. Er schlägt ›empfindsam« vor. Eine empfindsame Reise durch Frankreich und Italien. Eine empfindsame Reise«, wiederholte er, und noch einmal: »Empfindsame Reise. Wenn man es öfter spricht, klingt es gar nicht übel. Trotzdem, wer wird ein Buch kaufen, dessen Titel ihm schon ein unbekanntes Wort entgegenwirft?«
»Ihr habt einfach keinen Mut, Bode«, sagte Lessing. »Im Englischen gab es kein Adjectivum zu sentiment, Sterne hat einfach eines
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