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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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ständig stumme Schüler vorführen, und man muß sie examinieren, und sie wissen nur zu stottern.«
    Was wiederum alle sehr lustig fanden, und Claes wünschte, er wäre nicht auf die dumme Idee gekommen, sich an diesem Vormittag im Kaffeehaus sehen zu lassen.
    Es war ja nur wegen des Kaffees gewesen, nun gut, auch weil er hören wollte, was man in der Stadt über den Tod des Lehrers sprach. Schließlich hatte ihn das Scholarchat beauftragt, die Untersuchung des Weddemeisters zu begleiten, so hatten sie gesagt, obwohl sie ›überwachen‹ gemeint hatten. Ein Mord im Johanneum war nicht ganz so heikel wie ein Mord im Rathaus, aber es kam doch nahe heran. Kaum einer der Männer im Rat, in den Deputationen und auch in der Bürgerschaft, der nicht einen Johanneumschüler in der Familie hatte, als Sohn, Neffe oder Enkel. Die Schule war renommiert, besonders seit Müller vor nun schon fast vierzig Jahren das Regiment übernommen hatte.
    Er machte zwar in der letzten Zeit einige Unruhe mit seinen seltsamen Ideen einer Reform des Unterrichts und vor allem der Unterrichtsinhalte, und die, die ihn noch nie besonders geschätzt hatten, flüsterten sogar, er wolle die Ideen Johann Bernhard Basedows heimlich verwirklichen. Ausgerechnet Basedow! Es war schon genug, daß der Rektor seine Verehrung für die Messieurs Voltaire und Rousseau nicht verleugnete, beide genaugenommen Verächter der Religion. Dabei war Müller ein honoriger Mann in reifem Alter, kein junger Heißsporn mit unausgegorenen Ideen im Kopf, wie ihrer immer mehr in dieser neuen Göttinger Alma mater herangezogen wurden. Müller sollte nur vorsichtig sein. Basedow, ein Mann von Mitte Vierzig und seit sieben Jahren Professor für Moral am Christianeum zu Altona, dessen Ruf als Lateinschule dem des Johanneums in nichts nachstand, war seit Jahren Zentrum des Streits um die Erneuerung der Pädagogik. Seine aufrührerischen Ideen hatten vor vier Jahren dazu geführt, daß der Hamburger Rat seine Bürger und insbesondere die Lehrer vor ihm warnte und seine Schriften beschlagnahmte. In Altona und den umgebenden Dörfern wurden er und seine ganze Familie gar vom Abendmahl ausgeschlossen. Letzteres jedoch lag wahrscheinlich weniger an seinen Ausführungen zur Erziehung zur Glückseligkeit und Gemeinnützigkeit, zur körperlichen Ertüchtigung und Natürlichkeit, als vielmehr an seiner Forderung, die Schulen der Macht der Kirche zu entziehen, staatlicher Aufsicht zu unterstellen und alle Konfessionen zuzulassen.
    Inzwischen hatte Basedow, nicht gerade ein umgänglicher Mensch, jedoch bedeutende Anhänger bis ins dänische Königshaus, und so war er in diesem Jahr vom Unterricht freigestellt worden, ohne sein Lehrergehalt einzubüßen, um sich ganz seinen Schriften widmen zu können. Was ihm auch nicht viele neue Freunde brachte, besonders nicht unter den anderen Lehrern. Müller hingegen schätzte Basedows pädagogische Vorstellungen, vielleicht um so mehr, als der berüchtigte Pädagoge vor drei Jahrzehnten zu seinen Schülern am Johanneum gehört hatte.
    Claes Herrmanns, als Kaufmann von vornherein im Ruf eines Mannes der Zahlen und der hanseatischen Tradition, stand beim Scholarchat nicht im Verdacht umstürzlerischer Ideen, sondern wurde im Gegenteil als ein Bollwerk dagegen betrachtet. (Was nicht ganz richtig war, aber auch nicht ganz falsch.) Drei der Oberalten waren dennoch nicht dafür gewesen, ihm die Begleitung der Untersuchungen des Weddemeisters zu übertragen. Monsieur Herrmanns, gegen den natürlich nichts einzuwenden sei, im Prinzip!, sei doch gerade erst ins Scholarchat gewählt worden, und so eine verantwortungsvolle Aufgabe …
    Jedenfalls wurde eine ganze Weile hin und her geredet, bis schließlich der Senior, Hauptpastor Goeze, auf den Tisch schlug, wie er es manchmal und stets mit großem Erfolg tat, und verkündete, es sei nun genug geredet, Zeit sei kostbar und Herrmanns genau der Richtige für diese Aufgabe. Wie man wisse, dabei hatte er heftig seine breite Stirn gerunzelt, sei er zwar als Scholarch nicht sonderlich erfahren, sehr wohl aber im Umgang mit der Wedde, was für einen guten Bürger nicht gewöhnlich, gleichwohl beizeiten von großem Nutzen sei. Außerdem, das sei nun mal eine Tatsache, sei er als einer der ersten nach dem Mord im Johanneum gewesen, und nun sei die Sitzung beendet, seine Prediger warteten auf Unterweisung wie an jedem Freitagvormittag. Punktum.
    »Da hast du dich mal wieder in was reingeritten, Herrmanns.«
    Bocholt,

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