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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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weiter. Ich hätte Euch auch nicht angesprochen, hier direkt vor der Börse und all den Leuten.«
    »Um Himmels willen, Wagner, Ihr könnt mich ansprechen, wo und wann immer Ihr wollt. Dachtet Ihr, mein Ärger habe Euch gemeint? Ihr solltet inzwischen wissen, daß ich vielleicht kein sehr edler Mensch bin, mich aber um ein Mindestmaß an Höflichkeit bemühe. Im übrigen kommt Ihr genau recht. Ihr erspart mir, Euch zu suchen. Dort drüben«, er zeigte auf eine niedrige, von zwei Sommerlinden beschattete Mauer nahe dem Alten Kran, »haben wir Ruhe.«
    »Aber warum«, fragte Wagner wenige Minuten später, »hat er behauptet, er sei am Mittwoch im Johanneum gewesen? Das war doch gar nicht notwendig, wenn er nicht der Täter ist. Daß er der nicht sein kann, scheint ja nun bewiesen: Monsieur Donner war noch höchst lebendig, nachdem Godard das Johanneum verlassen hatte. Oder ist es möglich, daß Monsieur Bocholt sich im Tag geirrt hat?«
    »Bocholt hat sich ganz gewiß nicht geirrt, und Godard konnte nicht wissen, daß es jemanden gibt, der gesehen hat, daß Donner noch lebte, als er ihn verließ. Andererseits, wer sagt uns, daß er nicht kurz darauf wieder ins Johanneum zurückgegangen ist?«
    Wagner schwieg. Dieser plötzliche Zeuge kam ihm seltsam vor. Obwohl alle davon ausgegangen waren, daß das Tor zum Johanneum verschlossen gewesen war, hatte Grabbe einen halben Tag damit verbracht, den Plan hinauf- und hinunterzulaufen und alle Anwohner zu fragen, ob sie zu jener Zeit jemanden gesehen hatten. Niemand hatte etwas gesehen, und einige hatten gesagt, das sei auch eine unsinnige Frage, weil das Tor zur Mittagszeit stets verschlossen sei. Nun, an jenem Tag war es das nicht gewesen. Jedenfalls für eine geraume Zeit.
    Claes erhob sich, blinzelte kurz hinüber zum Kaffeehaus und sagte: »Wir können uns nun lange Gedanken machen, Wagner, aber das nützt wenig. Ich bin die Spekuliererei leid, gehen wir zu Godard und fragen ihn. Dann werden wir sehen.«
    Genau das hatte Wagner befürchtet. »Gewiß. Das wird das beste sein, aber sicher habt ihr wichtigere Geschäfte als so eine Befragung.« Er sah Claes Herrmanns hoffnungsvoll an.
    »Sicher. Aber die können warten. Es wird schon nicht den ganzen Tag dauern.«
    »Das weiß man vorher nie, Monsieur Herrmanns. So eine Befragung kann sehr schwierig sein.«
    »Spart Euch die Mühe«, Claes grinste den Weddemeister fröhlich an, »Ihr werdet mich jetzt nicht los. Aber ich verspreche, Euch das Fragen zu überlassen. Ich will mal sehen, wie es sich anfühlt, wenn man sich dümmer stellt, als man ist.«
    Die Tür zur Werkstatt des Uhrmachers stand weit offen. Am vorderen Arbeitstisch saß ein junger Mann. Er trug zwar keinen Rock, dafür aber eine große Leinenschürze über dem einfachen weißen Hemd. Als die beiden Männer eintraten, erhob er sich eilfertig und begrüßte sie mit einer Verbeugung.
    »Es ist gut, Jerôme.« Godard trat aus dem hinteren Raum in die Werkstatt und streifte seine aufgerollten Hemdsärmel herunter. »Die Messieurs wollen zu mir. Oder irre ich mich?«
    »Nein, Ihr irrt nicht«, sagte Wagner. Er zog sein blaues Tuch aus der Rocktasche, wischte sich die feuchten Hände ab und steckte es umständlich wieder zurück. »Es haben sich noch einige Fragen ergeben, neue Fragen, sozusagen. Monsieur Herrmanns und ich, nun ja, wenn wir in einen etwas abgeschlosseneren Raum gehen könnten?«
    Godard warf Claes, dessen Namen er wie jeder in der Stadt kannte, einen neugierigen Blick zu. »Es ist mir eine Ehre, Monsieur Herrmanns, wenn auch der Anlaß weniger ehrenvoll ist. Wenn ich vorausgehen darf.«
    Wagner und Claes folgten ihm in den Raum hinter der Ladenwerkstatt, der zugleich als Lager, Werkstatt für gröbere Arbeiten und als Schreibzimmer diente. Die drei Fässer mit den Teilen für Mijnheer van Zooms Automaten waren verschwunden. Nur ein paar Reste der weichen Kapokfasern, die sich zwischen den Kästen in den Regalen verfangen hatten, zeugten noch davon, daß sie hier gewesen waren.
    »Bitte.« Godard zeigte auf zwei alte Lehnstühle und setzte sich selbst auf den gepolsterten Hocker vor dem Sekretär, ein schmuckloses Möbel, das seit Jahren anstelle von Honigwachs und Firnisöl nur Staub gesehen hatte. Monsieur Godard, fand Claes, zeigte für einen, der des Mordes verdächtigt wurde, eine erstaunliche Gelassenheit.
    »Ja«, Wagner wartete immer noch darauf, daß Claes Herrmanns, wie es sonst seine Art war, sofort das Wort ergriff, aber der lehnte sich

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