Die zerbrochene Uhr
zurück und schwieg.
»Ja«, wiederholte Wagner, »noch einige Fragen. Ihr habt gesagt, daß Ihr am vergangenen Mittwoch bei Monsieur Donner im Johanneum wart. Ist es möglich, daß Ihr Euch geirrt habt?«
»Möglich? Gewiß. Aber ich glaube nicht …« Er verstummte. Das Ticken der Uhren wurde lauter, die Geräusche, die vom Berg hereindrangen, das Rattern der Räder, Hundegebell, die Stimmen der Menschen – alles wich zurück. »Ich will Euch und mir nicht mehr Mühe machen als notwendig«, sagte Godard schließlich in die angespannte Stille, »und ich hoffe auf Eure Nachsicht gegen eine fürsorgliche Tochter. Emma kennt keine Verfolgung, auch ich nicht. Mein Vater und seine Brüder flohen mit ihren Familien aus den Cevennen, das ist sehr lange her, aber es ist die Geschichte unserer Familie, vieler Familien unseres Glaubens, und Emma ist ein empfindsames Geschöpf. Vielleicht hilft Euch das, zu verstehen. Ich bin tatsächlich am Donnerstag bei Monsieur Donner gewesen, und ich habe das immer gewußt. Gewiß erinnert Ihr Euch, Weddemeister, daß es Emma war, die mich bei Eurem ersten«, er zögerte und fuhr mit schmalem Lächeln fort, »Eurem ersten Besuch darauf hinwies, ich sei schon am Mittwoch im Johanneum gewesen. Ich weiß nicht, warum ich ihr nicht gleich widersprach. Ich sah in ihren Augen die Sorge und ließ ihre Lüge stehen, denn das war es, eine Lüge, wenn auch aus den besten Motiven.«
Sein Blick wanderte aus dem Fenster hinaus in den schattigen kleinen Hof. Eine magere Pappel wuchs neben einem Schuppen, ein paar Hühner scharrten im Staub, und eine dicke Frau, die nackten Füße unter dem groben grauen Kleid in abgetretenen Pantinen, packte Holzscheite in einen Korb.
»Als ich ging, lebte Monsieur Donner noch. Mein Gewissen ist rein. Ich sah keinen Grund, Emma vor Euch bloßzustellen.«
»Bloßstellen? Es wäre doch nur ein kleiner Irrtum zu berichtigen gewesen.«
»Wahrscheinlich, Weddemeister, wahrscheinlich. Und nun? Was geschieht nun? Bringt Ihr mich in die Fronerei?«
Wagner ignorierte die Frage. »Warum habt Ihr Monsieur Donner nun tatsächlich besucht? Ihr sagtet, Ihr hättet ihm am Mittwoch seine Uhr gebracht. Nun war es nicht der Mittwoch, sondern der Donnerstag. Was habt Ihr ihm da gebracht?«
»Seine Uhr natürlich. Alles, was ich sagte stimmt, nur der Tag war falsch. Emma meinte, wenn bekannt wird, daß ich am Donnerstag bei ihm war, zudem so kurz vor seinem Tod, werde man mich verdächtigen. Eine berechtigte Sorge, wie sich nun zeigt. Ich habe ihm seine Uhr gebracht und bin wieder gegangen. Das war alles.«
»Gegangen«, sagte Wagner. »So. Gab es nicht noch eine Unterhaltung? Eine heftige Unterhaltung vielleicht?«
»Heftig? Nein. Ich gab ihm die Uhr, wollte ihm noch einmal den Mechanismus erklären, was er jedoch schon nach dem ersten Satz unwirsch zurückwies: Er kenne seine Uhr selbst am besten. Dann beschwerte er sich wieder, daß es kein Zeichen guter Arbeit sei, wenn eine Uhr erst nach der zweiten Reparatur fehlerfrei arbeite. Doch vor allem, das war mein Eindruck, war ihm wichtig, daß ich schnell wieder gehe. Er habe zu arbeiten, sagte er, steckte die Uhr in die Tasche, und ich war entlassen. Tatsächlich hatte ich den Eindruck, daß mein Besuch ihn überraschte, doch da muß ich mich geirrt haben. Wir hatten das Treffen zwar schon vor einigen Tagen verabredet, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß er es vergessen hatte. Monsieur Donner war kein besonders konzilianter Herr. Unwirsch, ja – heftig würde ich unser Gespräch jedoch nicht nennen.«
»Wie seid Ihr eigentlich in die Schule gekommen?« Nun mußte Claes doch eine Frage stellen. »War das Portal nicht verschlossen?«
»Nein, es war offen. Das habe ich vorgestern schon dem Weddemeister gesagt. Ich nehme an, Monsieur Donner hatte dem Pedell aufgetragen, es offenzulassen.«
»Ich denke, Monsieur Donner war über Euren Besuch überrascht. Wie kann er dann dem Pedell aufgetragen haben, das Portal für Euch offenzulassen?«
Godard zuckte mit den Achseln. »Das paßt tatsächlich nicht zusammen. Ich weiß darauf keine Antwort.«
»Habt Ihr den Pedell getroffen? Hat er das Portal gleich hinter Euch geschlossen?«
»Den Pedell habe ich nicht gesehen, ich habe überhaupt niemanden gesehen. So kann ich Euch auch niemanden nennen, der Monsieur Donner gesehen hat, nachdem ich gegangen war.«
Er lächelte immer noch, nur die winzigen Schweißtropfen über seiner Oberlippe verrieten, daß er längst nicht mehr so
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