Die zerbrochene Uhr
gelassen war, wie er vorgab.
»Es hat Euch trotzdem jemand gesehen. Und, was für Euch von noch größerer Bedeutung ist, es hat auch jemand Monsieur Donner gesehen. Der stand am Fenster und sah Euch nach, als Ihr die Schule verließt.«
Godard wurde plötzlich sehr blaß, dann rötete sich sein Gesicht, er sank zurück und schloß für einen Moment die Augen. »Messieurs«, sagte er dann, »das ist das Schönste, was ich seit sehr langer Zeit gehört habe. Seit sehr, sehr langer Zeit. Vor einer Minute war ich noch sicher, niemand werde mir glauben, daß ich den Lehrer ganz und gar lebendig verließ. Die Straße lag völlig verlassen, als ich zurück zur Werkstatt ging, ich habe niemanden gesehen, es war ja Mittag.« Er sprang auf und lief zum Flur, der hinter dem Raum ins Dunkle führte. »Emma«, rief er, »Emma. Ach nein«, sagte er dann, »sie macht ja einen Besuch.«
Auch Claes erhob sich, und Wagner tat es ihm, wenn auch zögernd, nach. Claes war mit dem Verlauf des Gesprächs sehr zufrieden. Er fühlte sich, als habe er einem Hungrigen einen köstlichen Braten geschenkt.
»Dann wollen wir Euch nicht länger aufhalten, Monsieur Godard, gewiß warten Eure Uhren schon auf Euch. Oder habt Ihr noch eine Frage, Wagner?«
»Nein, Monsieur, keine Frage. Vielleicht später«, murmelte der Weddemeister, verbeugte sich, wie es sich gehörte, und marschierte, ohne auch nur eine Minute an freundliche Höflichkeitsfloskeln zu verschwenden, zurück in die vordere Werkstatt und durch die immer noch offene Tür auf die Straße. Was Claes nicht gefiel. Nun, wo Godard sich als unschuldig erwiesen hatte, hätte er sich gerne noch einige der Wunderwerke in dessen Werkstatt erläutern und vorführen lassen.
Wagner stand im Schatten des nächsten Hauses, das blaue Tuch in der Faust, den Blick fest auf die Spitzen seiner Stiefel gerichtet.
»Na, Wagner? Endlich sind wir ein Stück weiter.« Claes war immer noch sehr mit sich zufrieden.
»Ein Stück. Gewiß. Der Lehrer lebte noch, als Godard ihn verließ. Aber warum sollte er nicht zurückgekommen sein? Diese Frage ist noch nicht geklärt.«
»Die Frage ist nun doch eher: Warum sollte er das überhaupt getan haben? Es ist natürlich sehr lästig, daß wir ein Stück weiter sind und zugleich wieder am Anfang stehen. Wenn es nicht Godard war, wer dann? Und warum?«
Wagner stopfte sein Tuch in die Tasche, ganz ohne sich Stirn und Nacken zu wischen, wie es seine Gewohnheit war, wenn er Ärger oder Unsicherheit fühlte, sah grimmig die Straße hinab (fast wie der selige Monsieur Donner, dachte Claes amüsiert) und sagte: »Es hätte noch einige Fragen gegeben, noch einige.«
»Warum habt Ihr sie ihm dann nicht gestellt?«
Wagner schüttelte den Kopf und schwieg. Er war nicht in der Stimmung, seine Gedanken preiszugeben. Diese Art Fragen machten keinen Sinn mehr, nachdem Claes Herrmanns Godard die beruhigende Mitteilung gemacht hatte, es gebe einen Zeugen für seinen Besuch. Solange er Angst gehabt hatte, gleich in Ketten gelegt zu werden, hätte er geredet. Leute redeten immer, wenn sie sich fürchteten, sie logen dann vielleicht, aber sie gerieten mit ihren eigenen Lügen durcheinander, sie – nun, das war jetzt egal. Jetzt fühlte der Uhrmacher sich wieder sicher.
»Ich verstehe Euch nicht, Wagner, Ihr verbeißt Euch in die Idee, Godard sei der Schuldige. Ich finde, es ist höchste Zeit, nach anderen zu suchen.«
»Die Frage ist doch«, sagte Wagner langsam, als überlege er sich sehr genau, was er Claes Herrmanns anvertrauen konnte, »die Frage ist jetzt: Warum war er tatsächlich im Johanneum? Er hat gesagt, um die Uhr zurückzubringen. Sehr seltsam. Zum einen ist es seltsam, die Uhr in die Schule zu bringen, das ist sehr umständlich, besonders, wenn dazu extra das Portal geöffnet bleiben muß. Viel wichtiger aber ist: Wir haben bei Monsieur Donner keine Uhr gefunden. Deshalb glaube ich nicht, daß Monsieur Godard als Uhrmacher in das Johanneum gegangen ist, der einen Auftrag erfüllt. Ich glaube, daß er einen anderen Grund hatte.«
MONTAG, DEN 8. AUGUSTUS,
ABENDS
Der Himmel im Westen brannte glutrot und färbte die Ränder der dunklen Wolken, die sich behäbig über den Fluß heranschoben, violett. Es war ein prächtiges Schauspiel, und die Menschen, die auf den westlichen Wällen zum behaglichen Abschluß des Tages unter den Ulmen promenierten, sammelten sich auf den vorgeschobenen Bastionen, um es zu bewundern. Mehr oder weniger. So ein Himmel, sagte
Weitere Kostenlose Bücher