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Die zerbrochene Uhr

Titel: Die zerbrochene Uhr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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sich nun zum ersten Lagerraum, graues Morgenlicht fiel matt von dem Fenster herein, das kurz unter der niedrigen Decke und nur zwei Handbreit hoch zum Hof hinausging. Sie erkannte die Schemen der Lagerregale, der Tonnen, Säcke und grob gezimmerten Truhen. Nun bewegte sich das Tapsen eiliger, und gerade als Rosina am Durchgang zum zweiten Lagerraum über einen umgestürzten Weidenkorb stolperte, hörte sie einen tiefen unterdrückten Schrei, eilig davonhastende Füße – und irgendwo klappte eine Tür ins Schloß.
    Rosina hatte keine Ahnung, wer dieser Kellergeist gewesen war. Der heilige Dominicus ganz gewiß nicht.
    Wohin war das Nachtgespenst gelaufen? Drei Türen gab es hier unten, hatten Wagner und Claes Herrmanns gesagt, eine führte hoch zur Diele und hinaus in den Hof, eine zweite, am Fuß der Treppe, war verschlossen, die dritte, nur vermeintlich seit Ewigkeiten ebenfalls verschlossene, führte – wahrscheinlich – hinüber zum Johanneum. Zu der waren Rosinas Füße schon unterwegs, bevor ihr Kopf eine Entscheidung auch nur abwägen konnte.
    Ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, der graue Dämmer, der auch in diesen Teil des Ganges fiel, genügte nun, den Weg zu finden. Da war die Tür, am Ende des Holzganges. Sie drückte die Klinke hinunter, und wie Wagner und Claes Herrmanns berichtet hatten, öffnete sie sich zu einem winzigen fensterlosen Raum, von dem eine weitere Tür zum Johanneum hinüberführte, jedenfalls nahmen sie das an. Wohin sonst?
    Rosina zögerte. Was wartete hinter dieser Tür? Und vor allem: wer? Sie erinnerte sich daran, daß sie Anne versprochen hatte, in brenzligen Situationen Hilfe zu holen, anstatt sich allein ins Feuer zu stürzen. Später, wenn es hell war und der Hof voller Menschen, konnte sie immer noch in den Keller schleichen und versuchen, etwas herauszufinden. Vielleicht fand sie auch eine Gelegenheit, das Kloster zu verlassen und Wagner zu benachrichtigen. Bis zum Neuen Wandrahm war es zu weit. So lange konnte sie ohne besonderen Auftrag der Domina nicht fortbleiben.
    Höchste Zeit, wieder hinauf in ihre Kammer zu schleichen. Zumindest wäre es von Vorteil, einem solchen Spuk, egal ob er harmlos oder gefährlich war, nicht ausgerechnet im Nachtkleid nachzuschleichen. Sie bezwang ihre Neugierde und wandte sich um, als sie plötzlich einen kühlen Lufthauch spürte. Mit einem dumpfen Ton fiel die Tür zum Holzgang ins Schloß. Schlagartig versanken alle Schemen des Kämmerchens in undurchdringlicher Finsternis. Rosina stolperte hastig die wenigen Schritte zurück zur Tür und tastete nach der Klinke. Wo war sie? Sie mußte doch groß und leicht zu ertasten sein, so ein altes hölzernes Ding.
    Doch soviel sie auch suchte und tastete – da war keine Klinke.
     
    »Einige Zoll weiter nach links wäre noch vorteilhafter, Ehrwürdige Jungfrau. Dann fällt das Licht am mildesten auf Euer Gesicht. Wenn Ihr erlaubt?«
    Mette van Dorting erhob sich aus ihrem Lehnstuhl und trat beiseite. Der junge Mann legte Rötelstift und Skizzenblatt auf den Tisch und rückte den Stuhl wenige Zoll weiter nach links, trat zurück, betrachtete ihn stirnrunzelnd, schob die Gardine zwei Fingerbreit zur Seite und bewegte den Stuhl noch einmal. Allerdings um so wenige Zoll, daß Mette glaubte, er habe ihn gar nicht bewegt. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß eine solche Winzigkeit den Lichteinfall verändern sollte, aber wenn er es so wollte – nun gut. Sie hatte beschlossen, geduldig zu sein.
    Was ihr gerade heute schwerfiel, denn der Tag hatte nicht gut begonnen. Rosa war verschwunden, und was zuerst nur die Empörung über eine unerhörte Schlamperei war –, sie hatte angenommen, das Mädchen habe verschlafen –, war tiefer Besorgnis gewichen. Kein Waschwasser, kein Tee am Morgen, das war in der Tat unbequem. Immerhin hatte die Köchin das Küchenmädchen mit Wasser und Tee heraufgeschickt, nachdem sie höchstpersönlich in die Küche hinuntergestiegen war, um nach Rosa zu suchen, und ihr Erscheinen das Aschenmädchen zu Tode erschreckt hatte. Aber Rosa war nicht in der Küche, auch nicht in ihrer Kammer, was besonders seltsam war, weil der blau-weiß gestreifte Rock, Mieder und Bluse ordentlich an den Haken neben dem Fenster hingen. Nur Rosa fehlte. Und ihr Nachtkleid.
    Niemand wußte, wo sie war, also hatte sie sie im ganzen Stift und auch im Garten jenseits des Klosterfleets suchen lassen. Die Köchin sagte, sie habe es ja gleich gesagt, mit der stimme was nicht, und wenn eine

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