Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
Schultern. »Die zwei sind Feinde, seit unser Sohn die Braut und die Mutter des Tempelwächters umbrachte.«
Die Verachtung, mit der Natsar über die Morde sprach, beschwor erneut Lebesis Zorn herauf. Seinen skrupellosen Machenschaften waren ihr Geliebter und davor ihr Gemahl zum Opfer gefallen. »Wie viele Leben willst du eigentlich noch zerstören?«
»So viele wie nötig, um unseren Plan Wirklichkeit werden zu lassen.«
Lebesis linke Hand vergrub sich in den Falten ihres silbrigen Gewandes und sie fuhr wie eine Giftschlange an die Gitterstäbe vor. »Nicht unseren«, zischte sie, und ihr Speichel spritzte ihm ins Gesicht. »Ich habe nie von der Weltherrschaft geträumt.«
Er lächelte müde. »Du bist eine schlechte Lügnerin. Ich weiß, wie groß dein Einfluss auf unseren Sohn immer noch ist und dass du ihn gegen mich aufzuwiegeln versuchst. Aber selbst wenn du mich tötest, wirst du nie ernten können, was Dagonis gesät hat.«
Seine Worte kamen ihr wie ein Stichwort im Theater vor. »Bist du dir sicher?«, fauchte sie und zog blitzschnell ein vergiftetes Stilett aus den Falten ihres Kleides, um es dem Antisch ins Herz zu stoßen.
Bevor es dazu kam, geschah etwas Unglaubliches. Die Ketten fielen von Natsars Armen ab, seine Rechte zuckte mit unfassbarer Schnelligkeit zwischen den Gitterstäben hindurch, fing Lebesis Linke ein und drehte sie mit brutaler Gewalt herum. Sie brüllte vor Schmerz, als ihr Handgelenk brach und die schlanke Klinge gleich darauf in ihre Brust eindrang.
Dass Natsar die Waffe sofort wieder aus der Wunde herausgezogen hatte, wurde ihr erst klar, als sie ihn damit am Käfigschloss herumhantieren sah. Fassungslos blickte sie an sich herab und gewahrte die im wilden Herzschlag sprudelnde Wunde. Es pulsierte offenbar noch genügend Blut durch ihren Körper, um das lähmende Gift in ihre Beine zu tragen. Sie brach zusammen und blieb mit dem Gesicht nach oben liegen. Über ihr funkelten die künstlichen Sterne eines duftigen Stoffbaldachins.
Mit einem Mal erschien Natsar über ihr. Während das Leben aus ihr herausrann, verwandelte er sich vom dagonisischen Herrscher in den König von Komana.
Sie blickte in das Antlitz Bahas, ihres ermordeten Mannes.
»Schau mich nicht so zornig an«, sagte Natsar. Seine Stimme klang dumpf und hohl. Sie schien sich mit jedem Wort ein Stück weiter von ihr zu entfernen. »Dagon nimmt deine Seele mit Wohlgefallen als Opfer an. Leider wirst du nie erfahren, welch großen Dienst du ihm mit der Geburt deines Sohnes erwiesen hast. Du kannst stolz auf dich …«
Mehr hört Lebesi nicht. Mit dem Anblick ihres geliebten Mannes vor Augen sank sie in den ewigen Schlaf.
Gaals Finte
N atsar atmete schwer. Die verfluchten Lurche hatten ihm fast sämtliche Stacheln ausgerissen. Ohne diese fühlte er sich so verletzlich wie noch nie. Jetzt war schnelles Handeln angesagt. Der Kampf mit Lebesi konnte von den Posten im Vorzimmer nicht unbemerkt geblieben sein. Er musste sich, auch wenn es seine letzte Kraft kosten würde, sofort verwandeln.
Wie befürchtet öffnete sich die Tür zu den Gemächern der Regentin und einer der Leibwächter rief: »Vergebt mir, Königliche Hoheit. Ihr habt uns verboten, Euch zu stören, doch ich meinte, Euch schreien gehört zu haben. Bitte erlaubt mir nachzusehen, ob …«
»Was habe ich Euch befohlen?«, keifte Natsar mit der Stimme der Regentin. Er sah auch schon fast so aus wie sie. Sein Geist musste nur noch die letzte Materie umwandeln, damit der magere Frauenkörper auch in den passenden Kleidern steckte.
»Ihr sagtet, was immer wir hören, solange Ihr uns nicht ruft, sollten wir draußen bleiben«, antwortete der Gardist, während er durch den Raum stampfte. Er trat wohl mit Absicht so fest auf, um Lebesi nicht in einer verfänglichen Situation zu kompromittieren. Wenn der Mann wüsste, dass diese Frau nichts mehr überraschen konnte!
Endlich war die Metamorphose abgeschlossen. Natsar schwitzte vor Anstrengung. Mit nur einem einzigen Stachel vermochte er die Illusion kaum aufrechtzuerhalten. Gerade noch rechtzeitig trat er hinter den Schleiern hervor, die Lebesis Leiche verbargen.
»Wir haben König Gaal beschimpft«, sagte er zornig. »Das nächste Mal, wenn Ihr Unsere Befehle missachtet, werfen Wir Euch in den Kerker. Und jetzt raus mit Euch! Wagt nicht einmal den Kopf hereinzustecken, solange Wir Euch nicht rufen.«
Der Gardist verneigte sich tief und schickte sich an, den Raum rückwärts zu verlassen. »Zu Befehl, Eure
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