Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
gebe es nicht. Männer dürfen nicht nur, sie sollen sogar weinen, wenn Trauer oder Freude übermächtig werden.«
Taramis fühlte sich hin- und hergerissen. Shúrias Trost tat ihm gut, doch zugleich verwirrte ihn ihre Nähe. Konnte er noch behaupten, um Xydia zu trauern, wenn er ein anderes Mädchen küsste und umarmte? Nun, eigentlich hatte sie ja ihn geküsst und umarmt, verteidigte er sich vor dem inneren Ankläger. Er räusperte sich verlegen, löste behutsam ihre Arme von seinem Hals und wich ihrem fragenden Blick aus.
»Habe ich etwas Dummes gesagt, Taramis? Falls ja, dann entschuldige ich mich.«
»Nein, nein«, unterbrach er sie. »Es ist nur … ich muss dir … was geben.« Er griff mit der Linken zu dem Lederband, das er seit Peor um den Hals trug. Und reichte es ihr samt Anhänger.
Ihre Augen wurden groß. »Ist es das, wofür ich es halte?«
Er nickte traurig. »Der Sternensplitter deines Lehrers. Es hätte ihm sicher gefallen, dass du ihn trägst.«
Taramis berichtete von der Flucht aus Peor. Als er Veridas’ Sturz von der Drachenkröte erwähnte, fing Shúria an zu weinen. Sie war von der Nachricht wie vor den Kopf gestoßen. Ihre Hände sanken kraftlos in den Schoß. Stumm blickte sie auf den schwarzen Stein.
Er sammelte seinen Willen und gab Tumba den Befehl, nach Malon umzukehren. Das riesige Geschöpf, das während des Kampfes unbeirrt weitergeschwallt war, änderte den Kurs. Hiernach quälte er sich mithilfe des Stabes auf die Beine. Jetzt wird es gleich ein bisschen wehtun, mein Freund .
Er kniff die Zähne zusammen und schwang den rechten Arm herum.
Als das Schultergelenk wieder eingerenkt wurde, durchfuhr ihn ein formidabler Schmerz. Die Drachenkröte schien sich plötzlich wie ein Kreisel zu drehen. Fast verlor er das Bewusstsein.
Shúria fuhr vom Schild hoch und packte beherzt zu, um ihn zu stützen. »Ihr Tempelwächter werdet mir immer ein Rätsel sein. Warum hast du dir nicht von mir helfen lassen? Du weißt, dass die Seher von Luxania gute Heiler sind.«
»Jetzt ist der Arm ja wieder gut«, murmelte er.
Sie lachte auf. »Bis es so weit ist, Taramis, wird noch einige Zeit vergehen. Deine Muskeln, Sehnen und Bänder sind ein Trümmerfeld. Du musst ihn schonen. Darf ich dir wenigstens eine Armschlaufe machen oder ist der Herr Gardehauptmann dafür auch zu stolz?«
Er lächelte müde. »Nein. Doch zuerst kümmere dich um deinen Vater. Er hat deine Hilfe nötiger als ich.«
Shúria verdrehte die Augen und wandte sich trotzig von ihm ab. Als sie davonstapfte, sah Taramis ihr nach und erschrak. Ihr hellblaues Gewand hatte sich von der Hüfte an abwärts rot verfärbt. War sie verletzt? Er wollte ihr gerade besorgt hinterherrufen, als ihm einfiel, dass es sich um Bochims Blut handeln musste.
Eli lag ausgestreckt auf dem Schild und konnte schon wieder sprechen. Shúria kniete sich zu seiner Rechten hin und strich ihm zärtlich ein paar graue Haarsträhnen aus der Stirn.
»Wie geht es dir, Vater?«
»Ich denke, besser als unserem tapferen Retter, mein Kind. Du hast gut daran getan, ihm zu danken. Achte zukünftig nur darauf, ihn nicht in Verlegenheit zu bringen. Er trauert noch um deine Schwester. Du bist eine schöne Frau …« Eli ließ den Rest seiner Überlegungen im Äther verwehen.
Shúria sah zu Taramis auf, der sich inzwischen zu ihnen gesellt hatte. »Ist das wahr?«
Er merkte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. »Ob …«, krächzte er und hüstelte, um seine raue Stimme unter Kontrolle zu bringen. »Ob du schön bist? Ich finde, du bist eigentlich …«
»Unsinn!«, unterbrach sie ihn. »Ich hatte nur fragen wollen, ob ich dich in Verlegenheit gebracht habe. Das war nicht meine Absicht. Ich wollte dir nur …« Sie schlug die Augen nieder und zuckte mit den Achseln.
Eli schmunzelte, als bereite ihm die Unsicherheit der beiden stilles Vergnügen. »Taramis, könntest du mir helfen, mich aufzurichten?«
»Ihr wollt stehen, Herr?«
»Sitzen genügt völlig. Bis ich meine Beine wieder fühle.«
Taramis verstaute Ez im Futteral, das er sich nach alter Gewohnheit als Gürtel um den Leib geschlungen hatte. Dann ließ er sich neben dem Hohepriester auf die Knie sinken, ganz bewusst an dessen linker Seite, um Shúria nicht zu nahe zu kommen. Die Strapazen der letzten Wochen hatten in Elis Gesicht tiefe Spuren hinterlassen. Er war nicht einmal sechzig Jahre alt, sah aber aus wie mindestens achtzig. Wenigstens schien er in der Gefangenschaft nicht gedarbt zu haben.
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