Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
Flucht schlagen?«
»Hm.« Eli rieb sich das Kinn. Gedankenversunken blickte er auf seine Zehenspitzen, die sich in den Sandalen bewegten. Er schien nicht einmal zu registrieren, dass die Lähmung vollends von ihm gewichen war.
»Die Seelenbäume!«, stieß Taramis hervor.
»Die Seelenbäume?«, wiederholten Eli und Shúria wie aus einem Mund.
Er nickte aufgeregt. »Gaal wollte Euch unbedingt in seine Gewalt bekommen, weil er Euer Wissen über Gan Nephaschôth fürchtete. Er glaubt, Ihr könntet seinen Baum im Garten der Seelen finden und fällen. Die seiner Krieger natürlich ebenso. Warum tun wir das nicht? Ich meine nicht, dass wir sämtliche Dagonisier umbringen sollen. Gaal hat zweifellos den Tod verdient und seine Generäle auch. Lasst uns nur ihre Bäume umhauen. Dann wird das übrige Heer bestimmt von alleine …«
»Wenn ich dich kurz unterbrechen dürfte, mein Sohn, was du da vorhast, ist für mich undenkbar.«
»Bei allem Respekt, Herr, manchmal muss man seine Haltung ändern.«
»Wohl wahr! Nur verfüge ich nicht über die Fähigkeit, das unsichtbare Band zwischen einem Seelenbaum und seinem Symbionten zu erkennen. Das habe ich schon König Dov erklärt und er wollte mir auch nicht glauben. Ich weiß lediglich, wer dieses heilige Geheimnis hütet.«
Taramis riss die Augen auf. »Dann könnten wir doch …«
»Nein!«, schnitt ihm Eli energisch das Wort ab. »Es zu entweihen ist ein dunkler Weg, den ich nicht bereit bin zu gehen. Ein beispielloses Sakrileg wäre das. Gao hat die Seelenbäume nach dem großen Weltenbruch geschaffen, damit den Völkern Beriths immer ihre Verletzlichkeit bewusst ist. Sie sollten nie vergessen, dass vor dem Herrn der Himmlischen Lichter alle vernunftbegabten Geschöpfe gleich sind. Entscheidend ist, was einer tut , nicht, was er ist.«
Die Entschlossenheit des Hohepriesters war ein Bollwerk, das nichts und niemand zu Fall bringen würde. Taramis wurde sich dessen nicht nur bewusst, er war in seinem tiefsten Innern auch dankbar dafür. Eli hatte ja recht. Das Seelenband war heilig. Ein Tabu, das nicht gebrochen werden durfte. Wenn man erst eines vorsätzlich zerschnitt, dann gäbe es für das Morden kein Halten mehr. Taramis sank kraftlos in sich zusammen. Er wusste nicht, wie er seiner angeblichen Bestimmung gerecht werden sollte.
»Es gibt noch eine andere Möglichkeit, die dagonisische Bedrohung abzuwenden.« Shúrias rauchige Stimme war so leise, dass sie vom Äther fast verschluckt wurde.
Die Blicke der Männer wandten sich ihr zu.
»Har-Abbirím«, sagte sie.
»Der Berg der Engel?«, fragte ihr Vater. Seine Miene hellte sich auf.
»Aber das ist doch nur ein Mythos«, brummte Taramis missmutig. »Eine lebende Insel.« Er schüttelte den Kopf.
»Anscheinend hast du die Inschrift vom Speer Jeschuruns unter der Säule des Bundes nicht gelesen«, stellte Shúria fest.
»Doch, schon, aber …« Mit einem Mal fiel es ihm wieder ein. Taramis lief ein Schauer über den Rücken. »›Im Berg der Engel glimmt dein Licht.‹ Du meinst, die Worte beziehen sich auf Har-Abbirím.«
»Und auf den Speer, auf das Feuer des Stabes Ez, würde ich vermuten. Heute wissen nur noch wenige, dass es Har-Abbirím wirklich gegeben hat. Veridas hat mir von ihm erzählt. Es war das älteste und größte Lebewesen der Welt.«
»War?«
»Manche sagen, es sei gestorben, anschließend versteinert und treibe seitdem als Insel durch das Ätherische Meer.«
»Warum sollte es uns dann nützen?«
Ein wissendes Lächeln umspielte Shúrias schönen Mund. »Weil es vielleicht nur schläft ? Und du es aufwecken wirst?«
»Aufwecken?«, japste Taramis. »Ich? Wie sollte ich so etwas …?«
»Mit Ez«, stieß Eli hervor und nickte eifrig. Offenbar konnte er sich schneller in die Gedankengänge seiner Tochter hineinversetzen, als der in solchen Dingen wenig geübte Krieger. »Du weißt doch sicher, was der Name Jeschurun in der alten Sprache bedeutet.«
»Redlicher?«, riet Taramis. Sein Alt-Berith war etwas eingestaubt.
»Sehr gut, Junge! Auf dich trifft das zu wie auf keinen anderen. Sonst hätte der Stab Ez dich längst zu Asche …«
»Jagur konnte ihn auch berühren.«
»Unterbrich mich nicht.«
»Entschuldigt, mein Herr.«
»Wo war ich stehen geblieben?«
Shúria verdrehte die Augen. »Du wolltest ihm die Sache mit dem Stab erklären, Vater.«
»Ach ja! Also, ob es dir nun passt oder nicht: Dir allein – und keinem Kirrie – wurde Ez in die Wiege gelegt. Du bist so wenig
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