Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
Antischschwert …« Taramis schluckte. »Jedenfalls wären Eli und seine jüngere Tochter jetzt wahrscheinlich ebenfalls tot, wenn die Kirries sie nicht entführt hätten. Der dagonisische Scherge stellte Shúria dieselbe Frage, und ich weiß, dass sie zu dieser Gemeinschaft gehörte. Bisher dachte ich, die Nebelwächter seien ausnahmslos Seher, die vor dem Beginn eines Zeitalters der Finsternis warnten.«
»Das ist nur zum Teil richtig«, antwortete der Hüter. Er beugte sich tief zu Taramis’ Ohr hinab und flüsterte: »Ihnen gehören Menschen unterschiedlichster Herkunft und Begabung an. Ich sitze seit mehr als zehn Jahren in ihrem Rat.«
»Ihr?«
Marnas nickte. »Die Seher von Luxania sprachen nicht nur von einer Bedrohung. In ihrer Weissagung werden zwei Wege aufgezeigt. ›Untergang oder Erhebung kannst du wählen‹, heißt es darin wörtlich. Somit kann die Plage abgewendet werden. Ich habe geschworen, mich dafür einzusetzen. Shúria und Xydia ebenso.«
»Warum Nebelwächter? Was bedeutet der Name?«
»Das kann heute niemand mehr mit Sicherheit beantworten. Der Bund wurde vor langer Zeit auf Luxania gegründet, so viel steht fest. Bis heute kommt die Mehrzahl seiner Mitglieder vom dunstverhangenen Zeridia-Atoll. Im Nebel des Ungewissen halten wir nach Zeichen Ausschau, um zum richtigen Zeitpunkt einzugreifen und die Bedrohung abzuwenden – auch das mag bei der Namensgebung eine Rolle gespielt haben. Außerdem wirken wir im Verborgenen, gewissermaßen wie von Wolken verhüllt. Die meisten Berither wissen nicht einmal, dass jemand über sie wacht.«
»Offenbar ist es in Dagonis kein Geheimnis mehr. Natsars Scherge hat gezielt nach Nebelwächtern gesucht, um sie zu töten.«
»Natsar?«
»Der Oberfischkopf, der mich niedergestochen hat.«
»Du meinst diesen stattlichen General mit den leuchtend rotbraunen Streifen? Ich bin ihm kurz begegnet. Er ist sogar für einen Antisch furchterregend groß und kräftig. Übrigens sind deine Waffen und der Schild Schélet nun in seinem Besitz.«
»Hoffentlich wird Ez ihm zum Verhängnis. Er soll brennen für das, was er Xydia und meiner Mutter angetan hat.«
»Natsar hat die Flamme Gaos einwickeln lassen. Wie ich dich kenne, hast du ihm die Macht des Stabes vorgeführt. Du wirst schon selbst etwas tun müssen, um Rache zu üben.«
»Ihr mögt es Rache nennen, aber ich trachte nach Gerechtigkeit.«
»Es freut mich, das zu hören. Deine jüngsten Erfahrungen haben dich offenbar weise werden lassen. Weisheit wird im Bund der Nebelwächter als wichtige Tugend angesehen.«
»Was nützt mir alle Klugheit und Besonnenheit, wenn ich dem Recht nicht Geltung verschaffen kann! Ich bin halbtot, wir sind gefesselt und um uns herum wimmelt es vermutlich nur so von Dagonisiern.«
»Darauf kannst du Gift nehmen! Wir sind hier nur deshalb so ungestört, weil sie die Gefangenen in jedes noch so kleine Loch gestopft haben. Worauf ich hinauswollte, ist aber etwas anderes. Purgor und Natsar sind vielleicht nur Randfiguren im großen Spiel. Um die Plage abzuwenden, müssen wir den ganzen Plan verstehen. Nur so können wir die Strategie des Feindes wirkungsvoll durchkreuzen.«
Taramis zog die Stirn kraus. »Versucht Ihr mich gerade für Euren Bund zu gewinnen?«
»Muss ich dich denn überzeugen? Ich dachte, Xydias Ziele seien auch die deinen. Sie hatte die Zeichen erkannt und sich an die Seite ihrer Schwester gestellt. Dir ist es bestimmt, ihr Werk fortzusetzen. Betrachte es als ihr Vermächtnis an dich.«
»Das ist nicht fair, Meister.«
»Unser Gegner ist es noch viel weniger. Die Nebelwächter brauchen dich. Hast du die Inschrift unter der umgestürzten Säule des Bundes gesehen?«
»Ja. Sie hat mich verwirrt.«
»Der Hohepriester war überzeugt, dass sich in dir die uralte Verheißung erfüllt. Er sagte einmal zu mir, der Stab Ez sei der Speer Jeschuruns und seinem Träger sei es bestimmt, Berith in dunkler Stunde Licht zu bringen.«
»Mir hat Eli bisher nur den ersten Teil erzählt.«
»Du wurdest lange über deine mögliche Bestimmung im Ungewissen gelassen, Taramis, zu deinem und zu unser aller Schutz. Den Dagonisiern dürfte die zweite Zeile der Inschrift nicht gefallen: Bringst Leben sowie Gaos Zorn . Deine Mutter, der Hohepriester und ich waren uns selbst nicht im Klaren, ob du nur Verwahrer des Speers oder auch Vollstrecker des Zorns bist.«
»Und was denkt Ihr jetzt?«
»Untergang oder Erhebung – erst wenn entschieden ist, welchen dieser beiden Wege die
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