Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
gefunden. Gao gefiel es, ihn am Leben zu lassen. Vielleicht hatte der Allmächtige andere Pläne mit ihm.
Taramis öffnete die Augen. Er hatte damit gerechnet, in die hässliche Fratze eines Fischkopfes zu blicken, sah zu seiner großen Überraschung jedoch das besorgte Gesicht von Marnas.
»Dem Allmächtigen sei Dank! Ich hatte schon befürchtet, du würdest nie mehr erwachen«, raunt der Hüter von Jâr’en mit ernster Miene. Er kniete mit vorne zusammengebundenen Handgelenken neben Taramis und bot ihm aus einem Flaschenkürbis etwas zu trinken an.
»Ging mir genauso«, antwortete Taramis ebenso leise. Dankbar nahm er das Wasser an. Während es ihm in kleinen Schlucken die Kehle hinabrann, wanderte sein Blick an den halb durchscheinenden Wänden des Gefängnisses entlang.
Die Kammer war eng, zu niedrig, um darin zu stehen, und irgendwie … organisch. Er hob den Kopf, damit er sich besser umsehen konnte. Ein pochender Schmerz ließ ihn die Neugierde sofort bereuen. Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse.
»Du hast eine Beule von der Größe einer Wassermelone. Ernster ist allerdings das Loch oberhalb der Hüfte«, erklärte Marnas flüsternd und deutete mit dem Kinn in die ungefähre Richtung. »Ich durfte es verschließen und dich verbinden, nachdem wir uns bis auf das Untergewand hatten ausziehen müssen. Lebensnotwendige Organe sind wohl keine zu Schaden gekommen. Wollen hoffen, dass dir der Wundbrand erspart bleibt.« Die nüchterne Art, mit der Marnas über die Verletzungen sprach, war typisch für ihn. Ein Tempelwächter durfte nicht zimperlich sein. Wie Taramis dachten in seiner Truppe die meisten so.
»Hattet Ihr Nadel und Faden dabei, oder wie habt Ihr die Stichwunde geschlossen?«
»Kraft meines Geistes. Leider bin ich ein schlechter Heiler. Du solltest heftige Bewegungen vermeiden, sonst bricht sie wieder auf.«
»Wie lange war ich bewusstlos?«
»Schwer zu sagen, ohne Blick auf die Gestirne. Der Überfall begann gestern, bevor die Sonne erschien. Gegen Mittag sind wir hier eingepfercht worden. Schätze, das ist mindestens zwölf Stunden her.«
»Wir sind in einem Schwaller, nehme ich an?«
Marnas nickte. »Im Panzer einer Drachenkröte. Er ist wie ein wurmstichiger Holzschild: voller Löcher und Gänge. In den benachbarten Kammern liegen noch mehr von uns. Die Dagonisier haben alle überlebenden Tempelwächter mitgenommen.«
»Mir ist so ein Koloss aufgefallen, als ich zur Heiligen Insel zurückkehrte.«
»Hast du das Phantom von Zeridia zur Strecke gebracht?«
Taramis berichtete wortkarg von der Jagd auf den Seelenfresser. Auch Gulloths Fluch erwähnte er.
»Ich wusste, dass du dieser Aufgabe gewachsen sein würdest«, sagte Marnas und seufzte. »Wärst du nur rechtzeitig zurückgekommen!«
Die Worte gingen Taramis wie ein Stich durchs Herz, weil sie ihn wieder an seinen furchtbaren Verlust erinnerten. Hätte er den dagonisischen Kundschafter nur einen Tag früher getötet, stünde er jetzt nicht vor den Scherben seines Lebens. Er konnte vor Kummer um Xydia kaum atmen.
»Das war kein Vorwurf. Wenn hier einer versagt hat, dann ich«, fügte Marnas eilig hinzu. Einem aufmerksamen Mann wie ihm entging so leicht nichts, schon gar nicht die kummervolle Miene des Schülers, den er wie einen Sohn betrachtete.
»Euch trifft keine Schuld, Meister. Wir sind verraten worden, von der erdrückenden Übermacht des Feindes ganz zu schweigen. Nachdem es im Tempel von Fischköpfen nur so gewimmelt hat, war ich auf das Schlimmste gefasst. Ich bin so erleichtert, wenigstens Euch lebend wiederzusehen.«
Der Ausdruck auf Marnas’ Gesicht verriet, wie wenig empfänglich er für tröstende Worte war. »Ich weiß deinen Zuspruch zu schätzen, Taramis, aber mir wäre es lieber gewesen, mit meinen Männern zu fallen. Bis zum Tod werde ich an der Last tragen, den Überfall auf die Heilige Insel nicht verhindert zu haben. Dein Kummer – betrifft er nur Xydia? Ist Lasia …?«
»Mutter weilt jetzt im Haus der Toten.«
Der Hüter schloss die Augen und schüttelte den Kopf.
»Was genau sind die Nebelwächter, Meister?«
Marnas blickte auf. »Was?«
»Bevor Mutter einschlief, hat sie mir von einem Mann mit einem Fischkopfschwert erzählt. Purgor.«
»In Wahrheit dürfte er anders heißen. Purgors Aussehen diente ihm nur als Maske, weil der Ganese ein Freund des Hohepriesters war.«
»Dieser Fremde – er hatte von Xydia wissen wollen, ob sie die Nebelwächterin sei, bevor er sie mit dem
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