Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
opfern.
Natsar wandte sich mit ausdrucksloser Miene wieder dem röchelnden Landes zu. Die herabhängende Rechte des Antischs sah aus, als presse sie eine unsichtbare Zitrone aus. »Bisweilen ist Mut von Dummheit schwer zu unterscheiden. Sei kein Tor, Soldat. Zeige mir den Rädelsführer, und ich will über deine Unbeherrschtheit von eben hinwegsehen.«
»Ihr habt keine Ahnung … vom Kodex der Tempelwächter«, krächzte der Gepeinigte. »Eher … sterben wir, als einen unserer Kameraden …« Er kippte mit dem Gesicht voraus in den Sand.
»So sei es«, sagte Natsar. Seine Rechte schloss sich ruckartig.
Landes bäumte sich kurz auf und sackte leblos zusammen.
Mit unbewegter Miene musterte der General die anderen Neuankömmlinge. »Als Mitglieder einer Elitetruppe versteht ihr sicher die Notwendigkeit von Disziplin. Wir sind jetzt eure Herren und ihr seid die Sklaven. Wenn ihr gehorcht, könnt ihr noch lange leben. Die Aufsässigen dagegen wandern in die Grube.« Er deutete zu dem vergleichsweise kleinen Antisch zu seiner Linken. »Ich übergebe nun an Lagerkommandant Qoqh.«
Der Schwergewichtige ergriff das Wort. Seine durchdringende Stimme ähnelte frappierend den dagonisischen Signalhörnern. Obwohl die Neuankömmlinge schier verdursteten, erging sich der Dicke in erschöpfenden Aufzählungen von Regeln und abstoßenden Schilderungen von Sanktionierungsmaßnahmen. Als er endlich die Gefangenen entließ, war Taramis kurz vor dem Zusammenbrechen.
Gestützt auf Marnas wankte er über den Platz. Der sinnlose Tod seines Kameraden ging ihm nicht aus dem Kopf. »Was ist da gerade mit Landes passiert?«
»Ich fürchte, der Fischkopf ist ein Manipulator«, raunte Marnas. Er bewegte kaum die Lippen.
»Natsar hielt seine rechte Hand so verkrampft.«
»Das ist typisch für diese Art von Geistwirkung. Er kann Dinge ertasten und darauf einwirken, selbst wenn er sie nicht sieht. Ich nehme an, er hat unserem tapferen Freund das Herz zerquetscht.«
Hilflos dem kaltblütigen Mord an einem geachteten Kameraden zusehen zu müssen, war eine zermürbende Erfahrung. Taramis beschlich zunehmend das Gefühl, einem übermächtigen Gegner ausgeliefert zu sein. Ihm war der Schreck so heftig in die Glieder gefahren, dass er ohne den starken Arm seines väterlichen Lehrers keine zehn Schritte mehr geschafft hätte. Die Gestalten der anderen Zeridianer verschwammen vor seinen Augen. Sämtliche Geräusche verwischten zu einem diffusen Rauschen. Jeden Moment konnte er das Bewusstsein verlieren. Die Strapazen waren einfach zu viel gewesen.
Plötzlich schlug eine flache Schwertklinge gegen die Brust des Hüters. Taramis nahm neben seinem Lehrer einen bleichen Schemen wahr.
»Halt! Ihr zwei werdet getrennt untergebracht.« Es war der Blasse.
Marnas schnaubte. »Ihr seht doch, dass er sich kaum auf den Beinen halten kann, Herr.«
»Wir haben hier ein ruhiges Plätzchen für Sklaven, die schlappmachen.«
»Lass gut sein, Reghosch«, meldete sich unvermittelt eine tiefe Stimme.
Taramis wandte sich überrascht General Natsar zu. Über dem Rauschen in seinen Ohren erhob sich dumpf der Protest des Blassen.
»Die beiden machen nur Schwierigkeiten.«
»Was hast du anderes erwartet? Das wussten wir von Anfang an. Haben wir Gulloth nicht seinetwegen nach Zeridia geschickt, nur um den jungen Taramis von der Heiligen Insel fortzulocken? Du hättest ihn kämpfen sehen sollen, Reghosch! Ein solcher Krieger und der Hüter von Jâr’en verdienen Respekt, selbst wenn sie unsere Feinde sind. Gewähre ihnen die Zweisamkeit. Andere Freuden werden sie in ihrem Leben kaum mehr finden.«
Insgeheim gönnte Taramis dem Blassen die Maßregelung, wenngleich er sie viel zu milde fand. Überraschend milde sogar. Von einem Eroberer und so unbarmherzigen Befehlshaber wie Natsar hätte er mehr Strenge erwartet.
»Du da!«, rief Reghosch und winkte einen Gefangenen herbei.
Inzwischen war die Verschwommenheit weitgehend aus Taramis’ Blick gewichen, weshalb er den herbeieilenden Zeridianer gebührend bestaunen konnte. Er war fast so groß wie der Lagerkommandant, wenngleich von ungleich athletischerer Statur. Wie bei den Jägern des Atolls üblich, trug er das schwarze Haar sehr lang und zu sieben Zöpfen geflochten. In seinem vierschrötigen Gesicht wucherte ein dichter Vollbart, der es schwer machte, das Alter des Mannes zu schätzen. Er mochte vierzig sein, möglicherweise auch ein paar Jahre jünger.
»Wie heißt du?«, knurrte Reghosch.
»Gabbar,
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