Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
Herr.« Die dröhnende Stimme des Hünen klang mürrisch, doch trotz ihrer Lautstärke überraschend sanft. Er mied den direkten Blickkontakt mit dem Feuermenschen.
»Du bist ein Hausvorstand, richtig?«
»Ja, Herr. Ich spreche für die Nummer zwölf.«
»Hast du noch Platz für zwei Neuzugänge?«
Der Zeridianer musterte Taramis und Marnas. Blitzte da in seinem Blick ein Erkennen auf? »Das kriegen wir hin, Herr.«
»Dann schaff sie mir aus den Augen.«
Er verneigte sich erst vor Natsar, danach vor Reghosch und gab darauf seinen neuen Mitbewohnern einen Wink. »Kommt.«
Ein kühler Empfang
I m Schlepptau des Hünen strebten sie auf ein Langhaus zu. Es stand in zweiter Reihe hinter dem Appellplatz. Leutseligkeit gehörte offenkundig nicht zu Gabbars Schwächen. Kein Sterbenswörtchen brachte er über die Lippen.
»Kennt Ihr uns, Gabbar?«, ächzte Taramis, als sie zwischen den vorderen Gebäuden hindurchliefen. Zuvor hatte er sich mehrmals nach den Wachen umgesehen.
»Ich bin kein hoher Herr, also braucht Ihr mich auch nicht so anzureden«, brummte der Gefragte.
»Das Gleiche gilt für mich«, sagte Taramis. Unter den niedrigen Dienstgraden der Tempelgarde herrschte ohnehin ein kameradschaftlicher Umgangston. Er wiederholte die Frage. »Kennst du uns, Gabbar?«
»Du bist Taramis. Und dein Gefährte ist Marnas, der Hüter von Jâr’en. Wir hatten gehofft, ihr würdet die dagonisische Plage ausmerzen, ehe sie weiter um sich greifen kann. Das ist die Nummer zwölf.« Gabbar wies mit seiner Pranke auf ein Gebäude, das aussah wie alle anderen.
»Interessant, was du da eben geäußert hast«, bemerkte Marnas beiläufig.
»Über die Zwölf?«
»Nein, über die dagonisische Plage … Wartet!«
Der Bärtige hatte sich gerade angeschickt, die Blechtür zu öffnen. Mit gerunzelter Stirn hielt er inne. »Worauf?«
»Mögen deine Tage ohne Nebel sein«, sagte Marnas leise. Drei Finger seiner linken Hand formten sich zu einem rechten Winkel.
Als der Hausvorsteher das Erkennungszeichen der Nebelwächter bemerkte, weiteten sich seine grünen Augen. Ebenso verhalten antwortete er: »Und die deinen voller Sonnenschein.« Sein Blick wanderte fragend zu Taramis.
Der wiederholte das geheime Ritual.
Gabbar hieß auch ihn als Bruder willkommen, ehe er sich wieder Marnas zuwandte. Dabei wirkte er so mürrisch wie zuvor. »Wir sind Bundesgenossen, aber das enthebt dich und deinen Schüler nicht der Pflicht, uns ein paar Antworten zu liefern. Macht euch auf einen kühlen Empfang gefasst.« Er packte den schmiedeeisernen Ring an der Tür. Mit vernehmlichem Quietschen schwang sie auf.
Der Geruch ungewaschener Körper schlug Taramis entgegen. Gestützt auf seinen Lehrer betrat er das Langhaus. Darin gab es nur einen einzigen Raum, in dem ungefähr fünfzig Menschen untergebracht waren. Sie lagen in vierstöckigen Eisenbetten oder standen zwischen den in drei Reihen angeordneten Gestellen. Den Neuzugängen wandten sich ernste, ausgemergelte Gesichter zu. In manchen spiegelte sich Neugier, vereinzelt sogar Feindseligkeit.
»Alles Leben auf Zin wurde entweder hergebracht oder vom Ätherischen Meer angeschwemmt. Darum findest du hier keine Bäume und nur wenige andere Pflanzen«, erklärte Gabbar mit einer vagen Geste zu den Nachtlagern hin. »Erze haben wir dafür umso mehr. Deshalb werdet ihr im Lager kaum Holz zu sehen bekommen. Was man braucht, wird aus Stein oder Metall gemacht. Ihr könnt euch da hinten links einrichten.«
Er lotste sie zu einem Stockbett am Ende des Saales. Währenddessen rief er: »Hört mal alle her. Das hier sind Marnas und sein Schüler Taramis. Ich nehme an, ihr kennt die Namen. Der Junge ist verletzt. Ihr wisst, was das heißt: Wenn wir ihn nicht schützen, wird er die nächsten Tage kaum überleben.«
»Wir sollen den Hals für sie riskieren?«, grunzte eine Stimme aus dem Hintergrund. »Du hast doch gehört, was auf Jâr’en passiert ist. Die Mehrzahl der Tempelwächter ist tot, und ausgerechnet die zwei größten Helden von Zeridia haben überlebt? Bist du sicher, dass sie unseren Beistand auch verdienen?«
»Noch so eine Bemerkung, Norgas, und ich breche dir beide Arme.«
»Aber …«
»Und die Beine.«
»Sie sind schuld …«
»Und deine Rippen. Wo warst du eigentlich, als Marnas auf dem Appellplatz seinen Hals riskiert hat? Handelt so ein Feigling?«
»Er hat vor Natsar gekuscht. Besonders mutig fand ich das nicht.«
»Halt endlich die Klappe, Norgas. Du kannst die zwei nicht
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