Die zerbrochene Welt 01 - Die zerbrochene Welt
einer Mauer umgebener Park, ein paradiesisches Kleinod in einem wahren Moloch von Stadt. Zwischen Bäumen, Blumenbeeten und Grasflächen funkelten Wasserläufe und Teiche im Sonnenlicht. An einer abseits gelegenen Seewiese meinte Taramis, die Umrisse einer Drachenkröte zu erkennen, was ihn auf die Anwesenheit von Dagonisiern schließen ließ.
In der Grünanlage verstreut leuchteten zudem zahlreiche Gebäude wie weiße Kieselsteine. Am auffälligsten war ein elfenbeinfarbener Palast in der Form eines gleichschenkligen Kreuzes. Die vier Flügel glichen den Speichen eines Rades, dessen Lauffläche aus einem riesigen Kreis silbrig schimmernder Bäume bestand. Die Nabe bildete eine goldene Zwiebelkuppel. Lebesi, die »Hexe von Peor«, wie der Wirt des Goldenen Tropfens sie genannt hatte, residierte dort.
Unweit der Residenz befand sich ein weiterer auffälliger Gebäudekomplex, der sich noch im Bau befand. Feuerrot leuchtete er im Mittagslicht. Im näheren Umkreis der monumentalen Anlagen standen hauptsächlich Villen. Zur Peripherie der mit zahlreichen Kanälen durchzogenen Metropole hin wurden die Häuser immer ärmlicher. Außerhalb ihrer Mauern umsäumten künstliche Seen die Stadt, eine glitzernde Perlenkette aus Leben spendendem Nass. Sie versorgten die Kapitale nicht nur mit Wasser, sondern boten den Schwalltieren der Reisenden auch geeignete Landeplätze.
Die Ätherschlange mit dem golden gesprenkelten Haupt war dort unten vermutlich ebenso bekannt wie ihr Reiter, der Eroberer von Peor. Schon allein deshalb folgte Taramis dem Rat seines Meisters und ließ den General Kurs auf das inseleinwärts gelegene Gut Enaks nehmen. Sein Mamogh hatte er zum Jagen geschickt.
Nachdem Natsar zwei Prisen Neschamah geschnupft hatte, ließ er seinen Drachenwurm außer Sichtweite der Stadt in die Lufthülle der Insel eindringen. Heiße, feuchte Luft umfing die Reiter. Bald darauf meldete sich von hinten die Stimme des Hüters. »Da vorne ist es!«
Taramis nickte. Er hatte das Anwesen längst entdeckt. Mit dem stumpfen Ende des Stabes stupste er gegen Natsars Panzer. »Lasst Arromog auf der Mitte des vorderen Wegs niedergehen.«
Die Grundform der gesamten Anlage orientierte sich offenbar am Palastbezirk von Peor. Die vier Gebäude des Gutes bildeten die Außenseiten eines quadratischen Hofs, welcher in einen quadratischen Garten eingebettet war, der inmitten eines quadratischen Feldes lag, das sich wiederum in einem quadratisch angelegten Wald befand.
Der dreigeschossige Herrensitz Enaks war ein überraschend schlichtes Landhaus aus Feldsteinen. Alle anderen Gebäude bestanden aus Holz. Neben den Wohnquartieren für das Gesinde, so vermutete Taramis, gab es noch eine Scheune und ein viertes Gebäude, dessen ursprünglicher Zweck sich nur erraten ließ. Es war fast völlig verbrannt. Nur ein paar schwarz verkohlte Balken ragten noch aus der Asche.
»Da unten liegen zwei Leichen«, unterbrach Marnas die düsteren Betrachtungen seines Schülers. »Ein aufgedunsenes Rind und …«
»Ein Mensch«, knurrte Taramis. Er hatte die leblosen Körper schon von Weitem bemerkt. Ebenso das versprengte Vieh, das zwischen den Bäumen des Waldes herumirrte.
»Bist du sicher? Ich sehe keine Beine.«
»Er hat auch keine mehr.«
Der Drachenwurm landete auf einem der Wege, die das Feld wie ein großes Kreuz durchschnitten. Dabei ließ es sich nicht verhindern, auch einen Teil des Jungweizens niederzuwalzen. Taramis fürchtete, dass hier so bald niemand mehr ernten würde.
»Du, Zur und Aragor passt auf den General auf«, wies er Masor an, nachdem alle abgestiegen waren. Er richtete den Blick auf Natsar und fügte hinzu: »Ihr habt freie Hand, euch gegen seine Angriffe zu schützen und jeden Fluchtversuch zu vereiteln. Notfalls tötet ihn.«
Der Regenmacher wiederholte den Befehl, wie er es in der Tempelgarde auch von seinen Männern erwartete. Danach scheuchte er den General zum Waldrand. Eine Vorsichtsmaßnahme, die Arromog galt, denn wie alle Ätherschlangen war er unberechenbar.
Taramis und die übrigen vier machten sich auf den Weg zum Hof. Als sie ein Heckentor durchschritten, hinter dem der Garten begann, zog er wortlos Ez aus der Umhüllung. Die anderen zückten ebenso still ihre Schwerter oder machten ihre Lanzen wurfbereit; Gabbar schwang seine Axt.
Totenstille lag über dem Gut. Kein Hund bellte, kein Hahn krähte, keine Kinderstimmen waren zu hören, nur das gelegentliche Summen eines Insekts und das Knirschen des Kieswegs
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