Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
ihm abgesehen besaßen die Seeleute keine Schwerter und nur vier einen Dolch. Allerdings trugen sie ausnahmslos Stirnbänder aus Agavenfasern, in denen Taramis Steinschleudern erkannte. Wenngleich sie damit äußerst geschickt seien, erklärte die junge Witwe, gehöre der Kampf Mann gegen Mann nicht zu ihren Stärken. Bei aller Unerschrockenheit seien sie keine Krieger.
Taramis hatte bei der Besprechung am Abend die Rollen klar verteilt. »Vermeidet unnötiges Blutvergießen!«, schärfte er ihnen ein. »Eure Aufgabe ist es, Verwirrung zu stiften. Sollte es zum offenen Schlagabtausch kommen, werden Bohan und ich uns darum kümmern.« Er wollte alles daransetzen, seinem neuen Schwert die Bluttaufe zu ersparen. Von Ischáh verlangte er, sich im Hintergrund zu halten. Mit Pfeil und Bogen könne sie notfalls aus der Ferne eingreifen. Sie hatte dieser Anweisung nur widerwillig zugestimmt. Hoffentlich ging seine Strategie auf. Ihre stärkste Waffe war ohnehin die Überraschung.
Äußerlich sah er jetzt nicht mehr wie ein Bauer, sondern wie ein gut betuchter, reisender Händler aus. Genauer gesagt, wie ein ganesischer Kaufmann, denn Ischáh hatte ihn mit der Garderobe ihres ermordeten Mannes neu eingekleidet. Darin dominierte unübersehbar die Lieblingsfarbe des Gartenvolkes: Hosen und ärmelloses Wams aus weichem, grünem Wildleder, das wie dunkles Moos wirkte, dazu ein lind grünes Leinenhemd – und selbst die Stiefel aus Schweinsleder waren tief grün. Er kam sich zwar wie ein königlicher Jäger vor, trug die bequeme Kaufmannskluft aber mit Würde. Wenn es denn dem Gelingen des Unternehmens diente!
Nachdem er vom Ippo gestiegen war, bedeutete er den Männern mit knappen Handzeichen, sich zu verteilen. Bohan sollte den Uferdamm zur Stadt hin absichern, falls die Hafenwache Verstärkung schickte. Ischáh blieb vorerst bei Taramis. Sie schlichen zu einem nur wenige Schritte entfernten Baum.
»Bist du bereit?«, flüsterte er ihr ins Ohr. Im Laufe des Abends hatten sich alle auf einen kameradschaftlicheren Umgangston geeinigt.
Sie nickte und wisperte: »Sobald du ihn befreit hast, schicke ich Narimoth ein Zeichen. Traust du dir das wirklich zu?«
»Wird schon klappen.« Er kam sich wie ein Heuchler vor, weil seine Zuversicht nur gespielt war. Vor ein paar Stunden hatte er kraft seines Willens nicht einmal einen Stecken aus dem Boden ziehen können – und jetzt wollte er damit eine schwere Kette sprengen.
Sie hing in einem Eisenring an dem steinernen Pfosten, auf dem der Dicke mit der Streitkeule saß. Taramis fixierte eines der Kettenglieder und schloss die Augen. Die Voraussetzungen, sich zu konzentrieren, waren hier weitaus besser als tags zuvor, als ihn gleichzeitig ein Borstenwürger attackiert, die Erde gebebt und seine Sorge um Shúria und Ari ihn fast um den Verstand gebracht hatte.
»Die Kette zittert.« Ischáhs warmer Atem hüllte sein Ohr ein.
»Bitte stör mich nicht«, flüsterte er. Ihre Nähe machte ihn nervöser als die unangenehmen Begleiterscheinungen seiner Bemühungen. Er öffnete die Augen.
Der Dicke war aufgestanden und legte seine Hand an die klimpernden Glieder.
»Was tust du da, Olb?«, schnarrte ein dürrer Mann, der sich bislang ein Stück weiter in Bohans Richtung mit einem Spießgesellen unterhalten hatte.
»Die Kette singt«, brummte der Beleibte.
Der andere lachte. »Sei doch froh. Solange sie keine unflätigen Bemerkungen über deine Figur macht …«
»Schwachkopf!«, fiel Olb dem Dürren ins Wort und warf ihm einen unwirschen Blick zu. »Ich meine es ernst, Tidel. Es geht kaum ein Wind. Wie kann das Ding singen?«
Plötzlich zerbarst das von Taramis malträtierte Kettenglied mit einem lauten Knall. Die Kette schepperte aufs Pflaster und begann sich wie eine Riesenschlange auf den See zuzubewegen.
»Beim großen Fisch!«, keuchte der Dicke und ging hektisch auf Abstand zu dem rasselnden Eisenwurm. »Da ist doch was faul. Wir werden angegriffen.«
»Jetzt!«, zischte Taramis. Er schloss wieder die Augen, weil nun die feinfühlige Seite seiner Gabe gefragt war. Er wollte dem Donnerkeil nicht mehr Schmerzen als unbedingt nötig zufügen. Während die Kette ins Wasser fiel und geschmeidig durch das Loch in Narimoths Kopfflosse glitt, stieß Ischáh einen Pfeiflaut aus – das vereinbarte Zeichen an ihre Männer.
Ein seltsames Heulen drang aus den Schatten unter den Bäumen hervor. Dann schwirrten Steine durch die Luft. Alle fanden ihr Ziel.
Plong!
Olb hatte den Kopf
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