Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
fünfhundert Fuß tiefer in einen Funkenregen.
Das Grinsen gefror auf Bohans Gesicht. »Du willst doch nicht allen Ernstes den Hausdrachen der Zwerge aufstören, nur weil eine Fledermaus …«
»Und ob ich das will!«, unterbrach ihn Taramis gereizt. »Wie oft soll ich dir das noch sagen? Ischáh ist eine Ganesin. Kein Tier würde sie belügen. Außerdem ist es mir lieber, mit einem Drachen zu kämpfen als mit einer Horde wütender Kirries. Wenn dir jetzt die Knie schlottern, dann bleib hier und warte, bis wir zurück sind.« Ohne eine Erwiderung des Recken abzuwarten, kletterte er in das Loch.
»Ich wollte schon immer einen leibhaftigen Drachen kennenlernen«, sagte Ischáh und schloss sich ihm an.
Mürrisch folgte als Letzter auch Bohan.
Nicht einmal Fledermäuse nahmen von ihnen Notiz, als sie die Zwergenleiter hinabstiegen – so bezeichnete Bohan die in den Fels gehauenen Mulden. Taramis verband bange Erinnerungen damit. Anders als früher erreichten sie jedoch ohne nennenswerte Zwischenfälle die niedrige Kammer am Ende der »Speiseröhre«.
Unschlüssig musterte er die sechs Tunnel, die von diesem Raum aus in die Finsternis führten.
»Du weißt nicht, wo es langgeht«, deutete Ischáh sein Zaudern.
Er hob nur die Schultern. Wenigstens hält Bohan seinen Mund … Plötzlich hörte er ein Geräusch. Jenseits der orangeroten Lichtwolke seiner Steine bewegte sich etwas über den Boden.
»Warte!«, flüsterte die Ganesin und lief mit ihrem Kalten Feuer ins Dunkel. Er folgte ihr. Sie huschte in einen der sechs Tunnel. Nach wenigen Schritten kniete sie sich neben ein maulwurfgroßes Tier, das sich ängstlich in eine Nische an der Felswand drückte. Es war völlig unbehaart. Ohne zu zögern, hob sie es auf.
Bohan gesellte sich zu ihnen und grunzte. »Sieht aus, als habe die Ratte vergessen, ihr Fell anzuziehen. Was ist das?«
»Ein Nacktmull«, antwortete sie.
»Nie gehört.«
»Wahrscheinlich hat er seine Familie verloren. Sie leben wie die Bienen: in großen Gemeinschaften.«
»Karkasischer Nacktmull ist bei den Kirries eine Spezialität«, erinnerte sich Taramis.
»Na danke!« Bohan schüttelte sich.
»Könntet ihr für einen Augenblick den Mund halten, damit ich mit ihm sprechen kann?«, fauchte Ischáh.
Die Männer schlossen ihre Münder.
Ihre Begleiterin widmete sich hierauf dem Tier, was im Wesentlichen aufs Gleiche herauslief wie ihre Konversation mit der Fledermaus. Anfangs schien der hüllenlose Herr Mull allerdings nicht so gesprächig zu sein wie seine flatterhafte Nachbarin. Es bedurfte erst einiger Leckerbissen aus Ischáhs Proviantbeutel, um ihn gefügig zu machen. Nachdem er diese verschlungen hatte, gab sie ein paar Pieplaute von sich, liebkoste das unbepelzte Kerlchen, ließ sich von ihm beschnüffeln und setzte es schließlich auf den Boden zurück. Während er in die Dunkelheit entfloh, erhob sie sich mit einem zufriedenen Lächeln.
»Mach’s nicht so spannend«, brummte Bohan.
Sie zeigte nach rechts. »Der nächste Gang führt uns zum Großen Fresser.«
9. Das Hemd der Unverwundbarkeit
D ie Luft war so trocken, dass Taramis ständig kleine Schlucke aus dem Wasserschlauch nehmen musste, um den Hustenreiz zu bekämpfen. Unentwegt ging es bergab. Von dem Großen Fresser – Ischáh meinte, der Nacktmull könne damit nur den Drachen gemeint haben – fehlte bisher jede Spur. Vielleicht war sie einem Irrtum aufgesessen. Sie hatte einmal gesagt, das Sprechen mit Tieren sei nicht mit einer Unterhaltung zwischen Menschen zu vergleichen. Vielmehr gehe es darum, Gefühle auszutauschen und richtig zu deuten. Was, wenn sich die für Ischáh deutlich spürbare Furcht des Nagers auf einen ganz anderen Räuber bezogen hatte?
Inzwischen marschierten die drei seit über zwei Stunden durch die Finsternis. Nach etwa der Hälfte der Zeit hatte sich der grob behauene Tunnel mit der gewölbten Decke zu einem natürlichen Spalt geweitet, der offenbar in ungeahnte Tiefen des Kegelberges hineinreichte. Der vormals leidlich glatte Untergrund war uneben geworden. An manchen Stellen mussten die Höhlenwanderer über große Felsbrocken klettern, um voranzukommen. Unvermittelt tauchte auf dem Boden am Rand der Lichtwolke etwas auf, das nicht wie ein Stein aussah. Es war bleich und fast kugelförmig und lag in einer Felsmulde. Taramis ahnte bereits, worum es sich handelte, bevor er es erreicht hatte. Mit der Spitze des Feuerstabes drehte er es um.
Zwei leere Augenhöhlen starrten ihn an.
In ihrer
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