Die zerbrochene Welt 02 - Feueropfer
zu verweilen sich gelohnt hätte. Und seine Nase litt Torturen in dem dumpfen Gestank vertrockneten Fleisches.
Mit einem Mal tauchte aus dem Dunkel ein Schemen auf, nicht größer als ein Kirrie und fahl wie der Mond. Er schien über einem schlanken Felsen zu schweben, der wie ein Sockel aus dem Boden aufragte. Taramis spürte sein heftig pochendes Herz. Ist es das, wonach es aussieht? Rasch bahnte er sich einen Weg durch Knochen und Mumienteile.
Seine Vermutung bestätigte sich. Es war die Mumie von König Dov. In das blass schimmernde Hemd der Unverwundbarkeit gehüllt stand er aufrecht da. Ein entleibter Heerführer, der seine Totenarmee inspiziert. Das von Taramis abgetrennte Haupt ruhte allerdings wieder auf den Schultern des Zwerges.
Was hatte die Kirries dazu bewogen, ausgerechnet diesen Ort als letzte Ruhestätte für ihren König zu erwählen? War es ein Opfer zur Besänftigung der Bestie gewesen? Als Abschreckung schien Dovs Mumie jedenfalls nicht zu taugen, so viele Knochen, wie um sie herum verstreut lagen. Oder war der tote Piratenfürst nur schmückendes Beiwerk? Eine Kleiderpuppe gar? Hatte man hier lediglich das kostbare Hemd Leviat auf die sicherste Art und Weise verwahrt?
»Was soll’s?«, wisperte Taramis, stakste zu dem Podest und legte der Mumie die Lichtsteine zu Füßen. Aus der Nähe zeigte sich, dass man den Leichnam auf eine Stange gesteckt hatte. Was für ein Volk ist das, das seinen toten König pfählt? Wie auch immer. Er würde Dov entkleiden und wieder verschwinden.
Das unverwundbar machende Gewand glich einer schlichten Tunika, die dem verdorrten Monarchen bis über die Knie reichte. Unter der Sonne von Jâr’en hatte es weißgrau ausgesehen. Hier schimmerte das Kalte Licht darauf in Tönen von Gelb bis zu sattem Rot. Taramis berührte den Saum. Das Gewebe fühlte sich erstaunlich weich und leicht …
»Bist du gekommen, um uns unseren Schatz zu rauben?«, dröhnte es plötzlich aus der Dunkelheit. Die tiefe Stimme klang so allgegenwärtig und Furcht einflößend wie das Beben eines Vulkans kurz vor dem Ausbruch.
Taramis’ Hand fuhr zurück und umfasste den Stab, um notfalls sofort zuzustoßen. Fast war er erleichtert, bei dem Großen Fresser die Gabe der Sprache und einen Verstand vorzufinden. Vielleicht war dieses Wesen ja gar nicht so böse, wie Ischáh gemeint hatte, und man konnte sich gütlich einigen. Um die Verhandlungen anzubahnen, fragte er: »Wer spricht da?«
»Die Welt kann die Dummköpfe nicht fassen!«, spottete die Stimme. »Da schleichst du dich in unseren Hort und kennst nicht einmal unseren Namen. Wir sind Lurkon der Drache.«
»Ist das ein Doppelname?«
Aus der Finsternis tauchten zwei Augen auf. Sie reflektierten das Kalte Feuer in einem kräftigen Gelb, waren beunruhigend groß, mandelförmig und hatten senkrechte schwarze Pupillenschlitze. »Wenn du um Gnade winseln willst, dann genügt Lurkon.«
»Ich hatte eigentlich vor, das Hemd der Unverwundbarkeit mitzunehmen. Solltest du es mir freiwillig geben, lasse ich dich am Leben«, entgegnete Taramis. Mit einem selbstbewussten Auftreten hatte er schon gute Erfolge erzielt.
Plötzlich erschien über ihm ein zweites, rötlich glühendes Augenpaar, weit links von dem ersten, und eine andere Stimme sagte: »Für wen hältst du dich, kleiner Wurm?«
»Ich bin Taramis, der Träger des Feuerstabes Ez.« Zur Abschreckung streckte er selbigen in die Höhe.
»Eine Mücke, die auszog, einen Drachen das Fürchten zu lehren«, erheiterte sich der rotäugige Kopf Lurkons.
»Was meinst du, wollen wir ihr den Stachel ausreißen?«, fügte das Gelbauge hinzu.
Zwar verspottete ihn das Ungetüm, doch es blieb auf Distanz. Kannte es den Stab? Ein boshafter Geist wäre für Ez wie Zunder. Allmählich beschlich Taramis das Gefühl, Ischáh könnte mit ihrer Einschätzung des Drachencharakters recht behalten. Trotzdem hielt er es für klüger, einer Konfrontation mit dieser Urgewalt aus dem Weg zu gehen. »Leviat passt Euch ohnehin nicht. Warum lasst Ihr mich das Hemd nicht nehmen?«
»Weil es ein Teil von uns ist, du dummer Wurm!«, brauste das Gelbauge auf; Taramis traf ein Luftschwall, der nach Verwesung stank. »Die Haare von Tieren und Kirries sind für uns unverdaulich. Wir würgen sie wieder hervor. Alle hundert Jahre einmal ziehen Sammler durch die Höhlen, um die Gewölle aufzulesen. Daraus spinnen die Zwerge das unzerstörbare Garn.«
»Dann sind die herzlosen Mumien, die hier überall herumliegen, früher
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