Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
unmittelbar vor dem Schwerkraftpol, zwei Wege. Der rechte war eine schwer zu begehende Felsspalte, die sich mindestens hundert Fuß hoch erstreckte.
Von Gaal war nichts zu hören. Vermutlich hatte er nur eine leere Drohung ausgestoßen, um mehr Vorsprung zu gewinnen.
Behutsam brachte Taramis die Fußstapfen des Königs zum Erglühen. Sie führten wie erwartet nach links. Er blickte zurück in die Höhle des Schwebens. Von Jagur war noch nichts zu sehen. Es konnte nicht schaden, den Tunnel schon einmal bis zur nächsten Biegung zu erkunden.
Den Blick fest auf die Fährte des Dagonisiers geheftet, nahm Taramis wieder die Verfolgung auf. Nach wenigen Schritten spürte er unversehens ein Ziehen an der Stirn, so als sei er in einen Faden hineingelaufen, stärker als eine Spinnwebe und schwächer als ein Draht.
Der Faden zerriss.
Eine Falle!
Instinktiv wirbelte Taramis herum. In seinem Kopf überschlugen sich plötzlich die Gedanken. Als Krieger und auch als Jäger hatte er unzählige Methoden kennengelernt, ein ahnungsloses Opfer zu fangen. Manche beschränkten sich darauf, es lebendig zu bekommen, andere quälten es langsam zu Tode, und dritte wiederum brachten es auf einen Schlag um. Diese hier gehörte offenbar zur letzten Art.
Während er schreiend in Richtung Schwerkraftpol flüchtete, hörte er über sich ein grauenvolles Geräusch. Es war ein tiefes, kollerndes Grollen. Vor Schreck vergaß er das Fährtenglühen und sah fast nichts mehr, abgesehen von der länglichen Öffnung, in der Jagur gerade mit seinen Lichtsteinen auftauchte.
»Zurück!«, brüllte Taramis. Um ihn herum prasselten Felsen zu Boden. Noch zwei, drei Sätze …
Die Zähe Zeit rettete ihn vor einem dicken Brocken, dem er mit traumwandlerischer Sicherheit auswich. Gleich hast du’s geschafft …
Der Gedanke riss jäh ab, als ihn ein kleinerer Stein am Hinterkopf traf. Fast gleichzeitig schlug ein größerer gegen seine Schulter und glitt vom Drachenhemd ab. Der Stoß warf Taramis beinahe um. Mit einem Ausfallschritt versuchte er den Sturz zu vermeiden. Glühender Zorn wallte in ihm auf, weil er sich wie ein Anfänger in die Falle hatte locken lassen. Im Stolpern beschwor er das Drachenfeuer, um den tödlichen Steinhagel zu verflüssigen. Doch die launische Macht des alten Lurkon blieb so störrisch wie ein Esel. Taramis fiel der Länge nach hin.
Auch der Versuch, sofort wieder aufzustehen, schlug fehl. Seine Arme und Beine gehorchten ihm nicht mehr. Ihm war schwindlig und zum Erbrechen übel. Er spürte, wie ihm das Bewusstsein schwand. Es war zu spät.
Unwillkürlich kauerte er sich zusammen. Dumpf und fern hörte er, wie die Welt um ihn herum einstürzte. Er merkte nicht einmal, wie die Trümmer auf ihn einprasselten. Eine angenehme Wärme umhüllte ihn. Dann versank er in einer tiefen, dunklen Stille und fühlte gar nichts mehr.
11. Shúrias Entscheidung
S húria war hingerissen. Zwar hatte sie Carma schon mehrmals durchquert, zweimal sogar in Begleitung von Taramis, doch das Schwarmwesen zu erleben war immer aufs Neue überwältigend. Während Narimoth durch den Schlauch schwallte, den die Qicks mit ihren Quallenkörpern formten, umwogte die Reisenden unter der Kiemenkapsel des Donnerkeils ein regelrechter Farbenrausch. Selbst die fünf Tage alte Aïschah, die in den Armen ihrer Mutter lag, beäugte mit offenem Mund das Naturschauspiel.
»Ich habe Carma noch nie in so guter Stimmung gesehen«, wunderte sich Lehi. Jagurs Frau war klein genug, um an der flachen Stelle hinter dem Sitz des Steuermanns stehen zu können. »Wie war es bei dir, Shúria, als König Dov deinen Vater und dich als Geiseln hierhergebracht hat?«
»Kein Vergleich zu diesem Feuerwerk. Aber Taramis haben die Chamäleonquallen ähnlich willkommen geheißen. Er meinte, ihre Ausgelassenheit habe an Ez gelegen.«
»Dann spürt Carma vermutlich deine Beziehung zum Träger des Feuerstabes«, sagte Ischáh.
Die Kirrie schüttelte den Kopf. »Unsere Beschützerin erkennt die Kinder. Ari und Aïschah sind ein Teil von ihm.«
Der Donnerkeil erreichte bald darauf das Ende des Durchschlupfs und schwallte in die gigantische Blase, die Malon und einigen kleineren Schollen Schutz bot. Anders als beim letzten Besuch brauchte sich Ischáh diesmal nicht vor den Spähern der Kirries zu verbergen. Sie steuerte geradewegs die große Hauptbucht am Fuße des fünf Meilen hohen Bergmassivs an, dessen Kegelform sich wie ein Spiegelbild in einem See nach unten wiederholte.
Keter
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