Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
erlegt, deren mangelnde Wachsamkeit mir auffiel. Als ich sie aufbrach, entdeckte ich in ihren Körpern etwas … anderes.«
Shúria blinzelte irritiert. »Was meinst du damit?«
»Der Leib dieser Geschöpfe war nur noch eine Hülle. In ihnen wuchs Leben heran.«
»Sie waren trächtig?«
Lauris schüttelte den Kopf. »Nein, sie waren Wirte .« Er deutete zu dem ausgeweideten Leichnam am Baum. »So ähnlich wie bei diesem Fischkopf da. Nur dass in den erlegten Tieren keine Bienen, sondern immer nur ein einzelnes Wesen heranreifte. Sie hatten eine blass gestreifte Haut und federlose Flügel.«
Shúria bekam eine Gänsehaut. »Du meinst wie bei einer Fledermaus?«
»Es waren eher Fledermänner oder -frauen. So genau ließ sich das nicht bestimmen.«
»Und du denkst … die dunkle Wolke könnte etwas damit zu tun haben?«
»Ich bin davon überzeugt. Verstehst du jetzt, warum wir sofort nach Jâr’en reisen und den Chohén warnen müssen?«
»Ja.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Dann trennen sich unsere Wege, sobald wir eine bewohnte Insel finden, wo du dir einen anderen Schwaller besorgen kannst. Du selbst hast mir von dem Gespräch zwischen diesem Kesalonier Sagur und seinem Antischkameraden erzählt – ich vermute mal, es ist derselbe gewesen, dessen Haut du da trägst.«
Lauris nickte. »Sein Name war Zukk.«
»Und haben sie nicht gesagt, Taramis sei ein Wurm an einer Angel, der nicht ahnt, wie es um ihn steht?«
»Das ist richtig.«
»Da siehst du es! Ich kann meinen Mann nicht in eine Falle laufen lassen.«
Ari zupfte seine Mutter am Ärmel. »Mama?«
»Nicht jetzt, kleiner Löwe.«
»Ich glaube, ihr braucht nicht weiter zu zanken.«
Sie wandte sich ihm zu. »Wir streiten nicht, Ari. Onkel Lauris und ich sind nur unterschiedlicher Meinung.«
»Das sagt Papa auch immer. Wir können zur Heiligen Insel schwallen und ihn warnen.«
»Du meinst …?«
Der Junge nickte. »Ich fühle es so deutlich, wie du vorgestern den Stich im Herzen und danach seine Hand auf deiner Wange gespürt hast. Papa ist auf Jâr’en.«
15. Der Kriegsrat I
S elten hatte Taramis in so ernste Gesichter geblickt. Der unmittelbar nach seiner Rückkehr einberufene Kriegsrat hatte sich um eine lange Tafel in der Schreibstube des Tempels versammelt. Neben Taramis, Jagur, Siath, Zur und Usa vervollständigten Kaldon, der Erste Gärtner der Heiligen Insel, sein Stellvertreter Suriman, ein junger Geistbote und Priestergehilfe namens Adomai, etliche Hauptleute der Tempelwache sowie die Ältesten der Priesterschaft die Runde. Insgesamt saßen fast drei Dutzend Männer und eine Frau am Tisch.
Der Hohepriester befand sich nicht unter ihnen. Er sei aber auf dem Rückweg, berichtete Adriëls Verbindungsmann. Seine Ankunft auf Jâr’en werde für morgen erwartet. Gestern sei Ramoth in die schwarze Wolke eingehüllt worden. Darauf hätten sich viele Menschen und Tiere wie tollwütig benommen.
»Dann haben wir wohl gut daran getan, Gaal nicht weiter zu verfolgen«, sagte Taramis ohne rechte Überzeugung. Er empfand es als unerträglich, seinen Erzfeind entkommen gelassen zu haben, wo er ihm schon zum Greifen nahe gewesen war.
»Du wirst deine zweite Chance bekommen«, tröstete ihn Zur. »Warum sitzen wir hier, Taramis?«
»Aus mehreren Gründen. Zum einen bitte ich dich, die Heilige Insel hermetisch abzuriegeln.«
»Das habe ich bereits getan.«
»Ich weiß. Nach dem …« Sein Magen krampfte sich zu einem schmerzhaften Knoten zusammen, als er an Gaals Angriff auf Shúrias Seelenbaum denken musste. »… heutigen Vorfall solltest du die Maßnahmen nochmals verschärfen. Siath hat empfohlen, sämtliche Ganesen, die abkömmlich sind, in den Garten zu schicken, damit sie die Tiere um Mithilfe bitten. Das halte ich für eine sehr gute Idee. Je mehr Augen und Ohren Gan Nephaschôth überwachen, desto schwerer wird es unser Feind haben, weiteren Schaden anzurichten.«
Der Hüter sah die beiden Gärtner an.
Kaldon und Suriman wechselten nur einen kurzen Blick und nickten einander zu. »Ich werde den Dienstplan entsprechend anpassen«, sagte der oberste Gartenhüter.
»Danke. Was noch?«, richtete Zur das Wort wieder an seinen Amtsvorgänger.
Taramis seufzte. Er wusste, dass jetzt seine schwierigste Forderung kam. »Schicke sämtliche Pilger fort und lass keinen Fremden mehr auf Jâr’en landen.«
»Dazu brauche ich das Einverständnis des Chohén. Adriël ist ein entschiedener Gegner einer elitären Priesterschaft, wie Eglon
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