Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
Artgenossen an. Er war an der Hafenmauer noch nicht ganz zur Ruhe gekommen, als Shúria, Ari und Lauris schon außerhalb der Kiemenkapsel standen. Der Jäger nutzte die erste Gelegenheit, um auf die Mole überzusetzen und seiner Schwester und ihrem Sohn ebenfalls hinaufzuhelfen. Er war während der Reise nur selten von ihrer Seite gewichen.
Auf dem Hafendamm herrschte ein reger Betrieb. Menschen, Reit- und schwer beladene Packtiere drängten sich auf dem breiten Pflaster. Es roch nach Gewürzen, schwitzenden Körpern, Vieh und Mist. Ein Beamter des Hafenamtes näherte sich Narimoth.
»Wir gehen schonmal vor«, gab Shúria der Donnerreiterin Bescheid und lief mit Ari und Lauris zu Aviathan hinüber. Seine Kiemenkapsel war verschlossen. Allon stand am Ufer, festgebunden im Schatten eines Baumes. »Ist da wer?«, rief sie. Ihre Hände waren vor Aufregung ganz feucht. »Taramis!«
Niemand antwortete.
»Da steckt ein Zettel hinter der Scheibe«, sagte Ari.
»Aviathan wird keinen Fremden an sich heranlassen.«
»Den König der Wildnis schon«, erklärte Lauris und setzte behutsam auf den Donnerkeil über. Tatsächlich blieb das Tier ruhig. Er beugte sich zu der Nachricht hinunter und las laut:
»Finger weg von dem Ippo und von diesem Schwaller! Die Eignerin ist Gast von General Peridas. Wir sind ins Hafenamt bestellt worden. Kommen bald wieder. Tebok und Kobet.«
»Taramis ist bei Peridas und Selvya«, sagte Shúria. Ihr Blick wechselte zu Ari.
»Was geht dir durch den Sinn, Schwesterlein?«, fragte Lauris.
»Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, ihn mit nach Peor hineinzunehmen. Erst vor wenigen Monaten wäre uns dieser Ort beinahe zum Verhängnis geworden.«
»Nach allem, was ich inzwischen von dir und dem Chohén weiß, haben sich die Zeiten geändert.«
»Trotzdem. Vielleicht ist es meine Gabe, die mich warnt. Wenn allerdings du mit ihm hierbleiben …«
»Ich habe geschworen, auf dich aufzupassen, bis du in Sicherheit bist. Warum lässt du den Jungen nicht bei Narimoth und der Schwallerwache?«
»Dabei ist mir auch nicht wohl. Wie gesagt, ich bin Seherin. Nenne es eine Ahnung. Außerdem kenne ich Almin und Reibun kaum. Ich überlasse meinen Sohn nicht wildfremden Seeleuten.«
Er stöhnte. »Frauen haben immer Bedenken und Sorgen. Müssten sie in den Krieg ziehen, würden sie nur endlos reden, statt zu kämpfen.«
»Wäre das so schlimm?«
Er sah sie nur durchdringend an.
»Dann nehmen wir Ari eben doch mit. Mit dir als Beschützer wird schon nichts passieren.« Sie wandte sich ihrem Sohn zu und ergriff seine Linke. »Hör zu, kleiner Löwe. Solange wir in der Stadt sind, lässt du meine Hand nicht los, außer ich sage es dir. Verstanden?«
»Ja, Mama.« Ihm war anzuhören, wie sehr ihm das missfiel. Mit elf Jahren fühlte er sich mehr als Mann denn als Kind.
»Sollten wir uns trotzdem verlieren, treffen wir uns bei Narimoth. Du findest doch zurück zum Schwaller?«
Ari verdrehte die Augen. »Ich bin ein Finder, Mama.«
»Na schön. Dann gehen wir jetzt zu Ischáh und den anderen.«
Die Ungewissheit fraß wie ein Wurm an Shúrias Seele. Sie hatte ihr nächtelang den Schlaf geraubt, machte sie nervös und unleidlich, selbst ihrem Sohn gegenüber. Wenn sie nur genau wüsste, was der abscheuliche Seelenfresser aus Dagonis mit ihrem Mann vorhatte! Sogar während ihres Marschs durch das Gassenmeer von Peor bekam sie den Kopf nicht frei. Wie eine Ertrinkende klammerte sie sich an Aris verschwitzte Hand. Außer ihm begleiteten sie Ischáh, Keter und Simli.
Je näher sie dem Stadtzentrum kamen, desto mehr fieberte Shúria dem Wiedersehen mit Taramis entgegen. Er wolle Gaal in eine Falle locken, hatte Zur ihr auf Jâr’en berichtet. Sie war in Tränen ausgebrochen. In Wahrheit sei ihr Mann der »Wurm«, der angeblich schon am Haken von Dagonis zappelte, hatte sie dem Hüter und ihrem Vetter, dem Hohepriester, erklärt.
Ischáh blieb plötzlich stehen, ihr Blick war in unergründliche Ferne gerichtet. Die Gruppe hatte gerade das Gasthaus zum mageren Drachen passiert. Es war früher Nachmittag, etwa die achte Stunde. Shúria begriff sofort, dass etwas nicht stimmte.
»Eine Botschaft von Narimoth?«
Die Ganesin nickte. »Er hat mich gerufen. Ich muss umkehren.«
»Wir haben den größten Teil der Strecke doch schon hinter uns. Peridas’ Stadthaus ist nicht mehr weit.«
Ischáh griff nach Shúrias Hand. »Du verstehst nicht, Schwester. Narimoth fürchtet sich. Wahrscheinlich leidet er sogar Schmerzen.
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