Die zerbrochene Welt 03 - Weltendämmerung
Keter und ich sollten der Sache nachgehen. Du brauchst nicht umzukehren. Mit Lauris und Simli als Beschützer wird euch nichts geschehen. Geh zu Taramis. Sofern alles in Ordnung ist, stoßen wir spätestens morgen wieder zu euch.«
Shúria schüttelte trotzig den Kopf. »Nein.«
»Aber …«
»Du warst nicht hier, als sie deine Schwester, Ari und mich zu den Opferöfen am Bluttempel karrten. Hättest du die mitleidlosen Augen dieser Menschen gesehen, würdest du mich verstehen.«
»Ich kann nicht anders, Shúria.«
Sie stöhnte. »Dann kehren wir eben alle um.«
Als Taramis den Menschenauflauf sah, schwante ihm nichts Gutes. Er, seine Freunde und die von Peridas gestellte Eskorte hatten gerade das Stadttor passiert, als sie unweit von Aviathans Liegestelle eine aufgeregte Menge bemerkten. Hinter der Mole hing die Abendsonne wie ein gigantischer Feuerball über dem Horizont. Rasch übergab er sein Pferd dem nächstbesten Soldaten und lief zu den Leuten. Seine Kameraden folgten dichtauf. Jagur hechelte allen hinterher, weil seine kurzen Beine langsamer waren als sein Wille. Ehe er am Ort des Geschehens eintraf, hatte sich Taramis bereits bei einem Dickwanst nach dem Grund für den Tumult erkundigt.
»Da war bis gerade eben noch ein anderer Donnerkeil«, antwortete der Gefragte. Der Tracht nach war er ein reisender Händler. »Auf einmal gebärdete sich das Tier wie verrückt. Ich habe Männer – die Eigner, nehme ich an – mit spitzen Haken gesehen. Damit versuchten sie, es zu bändigen. Plötzlich ist es abgetaucht.«
»Schwallerschinder«, schnaubte Jagur verächtlich.
»Nicht jeder hat ein so inniges Verhältnis zu seinen Gefährten wie die Zwerge von der Pirateninsel.«
»Kirries!« , knurrte Jagur.
Der Blick des Dicken wechselte zu Taramis. »Was sagt er?«
»Mein Freund ist ziemlich zartbesaitet. Was Ihr uns gerade erzählt habt, erregt sein Gemüt.«
»Und das meiner Lehi«, fügte der Beleidigte hinzu.
»Ich verstehe nicht …«, wunderte sich der Kaufmann.
»Er ist mit seiner Lehi verheiratet«, erklärte Taramis hinter vorgehaltener Hand.
Nun war der Feiste vollends verwirrt. Er deutete auf Siath und Selvya. »Welches dieser engelsgleichen Geschöpfe hat das Pech, so einen abgebrochenen Griesgram zum Mann zu haben?«
Taramis legte ihm die Rechte auf die Schulter. »Keine von beiden. Seine Lehi ist noch viel schärfer. Ihre Zunge ist geradezu tödlich. In Eurem eigenen Interesse werden wir uns jetzt zurückziehen. Habt Dank für die Auskunft.«
Der Dicke nickte konsterniert und zog sich rasch in die Menge zurück.
Unterdessen lief Taramis zu Aviathans Liegeplatz, den zornig vor sich hinbrummelnden Kirrie und die übrigen Gefährten im Schlepptau. Auf den Dreiecksflossen des Donnerkeils erwarteten sie Tebok und Kobet.
»Sind die Soldaten mit dem Proviant schon da gewesen?«, rief Taramis ihnen zu.
»Alles bereits verstaut«, antwortete der Steuermann und grinste. »Ist das erste Mal, dass die Männer, die uns Piraten sonst jagen, freiwillig was rausgerückt haben.«
Taramis schickte Usa und Adomai zu ihrem Mamogh, ehe er sich wieder den übrigen Gefährten zuwandte. »Lasst uns keine Zeit verlieren, Freunde. Wir brechen sofort auf.«
Almin erwachte in einer seltsam organisch anmutenden Kammer. Blinzelnd sah er sich um. Öffnungen unterschiedlicher Größe gewährten Einblicke in Nebenräume, die ähnlich beschaffen waren. Nirgendwo ließ sich eine gerade Fläche oder ein rechter Winkel ausmachen. Sein Gefängnis wirkte wie das Innere eines riesigen Schwamms. Dem Augenschein nach bestand alles um ihn herum aus Horn. Hier und da fand das Sonnenlicht einen Weg in sein Verlies, bernsteinfarben schimmerte es durch die gewölbten Wände. Aus dem fischigen Geruch schloss er, dass er sich immer noch am Hafen befand, vermutlich sogar auf einem Schwaller. Wie lange war er ohnmächtig gewesen? Dem Brummen in seinem Schädel nach zu urteilen mussten sie ihn schon vor Stunden niedergeschlagen haben. Er versuchte sich zu bewegen. Ohne nennenswerten Erfolg. Lediglich der Stuhl, auf dem die Kerle ihn mit seemännischer Gründlichkeit festgezurrt hatten, kippelte wegen des unebenen Bodens. Allmählich kehrten seine Erinnerungen zurück.
Er war von zwei Kesaloniern überwältigt worden. Ihrem wilden Aussehen nach zu urteilen, konnten es nur Drachenleute gewesen sein: Dünne Zöpfe hatten ihre langen Haare geziert und verschlungene Tätowierungen ihre Gesichter in furchterregende Grimassen
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