Die Zeugin: Thriller (German Edition)
ihn zu fangen, falls er in diese Richtung ausbüchst?«
»Klar.« Andi verschwand zu ihrem Auto.
Hastig rannte Rory zurück zum Subaru, öffnete die Hecktür und holte die Leine heraus. Dann hetzte sie wieder in die umgekehrte Richtung. Unter ihren Füßen knirschten Glas und Splitt. Auf dem Seitenstreifen wartete sie, bis mehrere Lastwagen und Kombis dröhnend vorbeigezogen waren. Der Wind roch nach Eukalyptus.
Röhrend kam ein Schulbus heran. Hinter ihm war eine Lücke von mehreren hundert Metern.
Rory sprintete hinaus auf die Straße. Noch nie waren ihr drei Fahrbahnen aus Asphalt so breit erschienen. Links von ihr näherten sich Scheinwerfer. Auch rechts, hinter dem Mittelstreifen, funkelte es weiß. Eine Hupe plärrte. Anhaltend und immer lauter. Sie schaute nicht hin. Raste einfach weiter.
Dann war sie auf dem Mittelstreifen. Die Hupe schrillte im Dopplereffekt vorbei. Der Fahrer brüllte: »Idiot!«
Ihr Herz ratterte wie eine Nähmaschine, als sie in die Hände klatschte und pfiff. »Chiba.«
Der Hund drehte sich um und stürmte sofort auf sie zu. Auch sie rannte los. Als er bei ihr war, sprang er hoch, und sie packte ihn am Halsband.
»Junge, was machst du denn hier?«
Er keuchte und schlotterte. Winselnd hob er die Pfote, um sie ihr auf die Schulter zu legen. Er war vollkommen verschreckt.
Schnell legte sie ihm die Leine an. Er jammerte und wand sich.
»Chiba, schsch.« Sie versuchte, ihn zu beruhigen.
Auf der anderen Seite des Highways stoppte Andi Garcia an der Auffahrt und stieg aus. Zitternd und bellend drehte sich Chiba neben Rory im Kreis.
Ein Sattelzug rollte auf sie zu, und der Fahrer drückte auf seine Luftdruckhupe. Der Lärm war ohrenbetäubend. Mit einem heißen Luftzug donnerte der Laster vorbei.
Chiba geriet in Panik. Er war ein starker Hund, zu stark für Rory. Als er mit seinen dreißig Kilo reiner Muskelkraft losstürzte, riss er ihr die Leine aus der Hand und rannte direkt auf die Fahrbahn.
»Nein …«
Auf der anderen Seite stieß Andi einen unterdrückten Schrei aus.
Der VW Jetta hupte nicht. Doch er bremste. Mit blitzenden roten Lichtern drosselte er sein Tempo und brummte vorbei wie ein schwarzer Käfer. Die Reifen quietschten und rauchten.
Rory ächzte.
Es folgte ein dumpfer Aufprall, und das Quietschen brach ab. Erst rollte der Jetta langsam weiter, dann entfernte er sich mit heulendem Motor.
»O nein, o nein …«
Als sie über die Fahrbahn lief, roch Rory Auspuffgase und verbrannten Gummi. Und sie hörte einen schrecklichen Laut. Chiba wimmerte.
Sie stürzte zu ihm. Er war angefahren worden. Halb lahm lag er zwischen Splitt und Scherben auf dem Seitenstreifen. Erbärmlich winselnd, versuchte er aufzustehen. Das rechte Hinterbein war blutverschmiert.
Sie legte ihm die Hand auf die Flanke, und als er ihr den Kopf zuwandte, zerriss es ihr fast das Herz.
»Schon gut, Junge. Schon gut.« Sie war den Tränen nah.
Schließlich nahm sie ihn auf die Arme. Er jammerte, doch ohne zu strampeln. Seine Hinterbeine hingen schlaff herab. Ächzend unter der Last erhob sie sich.
»Komm, Junge. Das kriegen wir schon wieder hin.«
Mit torkelnden Schritten hastete sie zu ihrem Auto. Chiba ließ hechelnd den Kopf hängen. Von seinem Hinterlauf tropfte Blut auf den Boden. Noch immer zitterte und winselte er. Der Verkehr rauschte vorbei.
Die Arme brannten ihr von seinem warmen, pelzigen Gewicht. Schnaufend erreichte sie schließlich den Wagen. Ungelenk öffnete sie die Hecktür und hievte Chiba vorsichtig nach drinnen. Dann nahm sie ein Strandtuch und wickelte den hektisch atmenden Hund hinein.
»Schon gut, Junge. Jetzt fahren wir.«
Sie trat zurück. Als sie die Tür zuschlug, spiegelte sich im Heckfenster das rote Blitzen eines Polizeilichts.
Erschrocken fuhr sie herum.
Hinter dem Subaru parkte ein silberner Geländewagen. Das rotierende Polizeilicht stand auf dem Armaturenbrett. Wie bei einem Zivilfahrzeug. Wie bei dem Auto, das Seth vor einigen Stunden bemerkt hatte.
Vor dem Wagen stand ein Mann.
Er trug Zivilkleidung. Untersetzt, behäbig, mit einem Gesicht, das aussah wie sandgestrahlt. Neil Elmendorf, der Ehemann von Officer Lucy Elmendorf.
Er hatte Rorys Autoschlüssel in der Hand.
»Was wollen Sie?«, fragte sie.
»Schon mal was von Verkehrsregeln gehört?«
»Mein Hund wurde angefahren. Ich muss ihn zum Tierarzt bringen.«
»So viele Verstöße – das könnte ziemlich unangenehm für Sie werden.«
Sie atmete schwer. »Verpassen Sie mir einen Strafzettel
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