Die Zeugin: Thriller (German Edition)
Jahren Geld, Aurora.« Der Südstaatenakzent ihrer Mutter konnte ihren scharfen Ton nicht abmildern.
Rory spürte, wie sich die nächste Schicht Illusionen von ihrer Vergangenheit löste. »Lee hat ihnen nie was geschickt?«
»Dein Dad hat jeden übrigen Cent Amber zukommen lassen.« Sams Zorn war wie eine frische Brise. »Und wer ist jetzt hinter dem Geld her?«
Will zog ein Taschentuch heraus und schnäuzte sich. »Das steckt also dahinter? Es geht um das gestohlene Geld?«
Sams Stimme klang scharf. »Zwei Gangmitglieder haben überlebt und sind im Gefängnis gelandet.«
»Ein naheliegender Gedanke, klar. Aber Lees Partner könnt ihr vergessen. Sie sind es nicht.« Rory erhob sich und rieb mit den Händen über die Hose. Ihr Bauchgefühl war glasklar. »Riss und Boone stecken dahinter.«
Ihre Eltern reagierten nicht offen schockiert. Ihre Mom wirkte wie versteinert. Und bei ihrem Dad schlug die emotionale Temperatur abrupt von Wärme in Kälte um.
»Bestimmt wissen sie von dem Raub«, fuhr sie fort. »Wahrscheinlich hat Amber ihnen davon erzählt. Meint ihr nicht?«
Ihr Dad hob eine Hand. »Bist du ganz sicher?«
Rory nickte.
Nach kurzem Zögern bat er: »Erzähl es uns.«
»Boone ist mir heute Nachmittag gefolgt«, begann sie.
N achdem sie alles berichtet hatte, fühlte sich Rory ausgebrannt. Auch ihre Eltern wirkten erschöpft. Sam ging zum Kühlschrank und schenkte sich aus einem Krug ein großes Glas Wasser ein. Sie starrte aus dem Fenster und trank es in einem Zug aus. »Wenn ich so was höre, kann ich verstehen, warum jemand einfach weglaufen will.«
Rory spürte die Bemerkung wie einen harten Stein im Schuh. »Mom, Dad. Ihr habt mir immer gesagt, ich soll aus Ransom River verschwinden. Ist das der Grund?«
Überrumpelt schaute Will sie an. »Wir haben dich aus vielen Gründen zu einem selbstständigen Leben ermuntert.«
Sam bedachte ihn mit einem giftigen Blick. »Boone und Riss waren schon immer eifersüchtig auf Rory. Immer. Auf Rory und unser Familienleben. Schon seit sie Kinder waren. Und Amber hat sie darin bestärkt.«
Will schien kurz davor, Widerspruch zu erheben, doch Sam ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Obwohl du Amber jeden Monat Geld überweist. Es hat nie gereicht, um den Neid aus der Welt zu schaffen.«
Will und Lee waren in armen Verhältnissen aufgewachsen. Später hatte sich Lee für die schiefe Bahn entschieden, um reich zu werden. Will hingegen hatte geschuftet wie ein Ochse, um für sich und seine Familie eine solide Existenz aufzubauen.
»Ihr unterstützt Amber monatlich mit einer festen Summe«, sagte Rory. »Kein hoher Betrag, richtig?«
Sam fuhr auf. »Glaubst du, wir haben Reichtümer zu verschenken?«
»Ganz bestimmt nicht.«
Will erhob sich. »Ich kann nur hoffen, dass du nicht auf was Bestimmtes hinauswillst.«
Rory machte eine beschwichtigende Geste. »Wir haben keine Reichtümer zu verschenken. Bloß dass du jederzeit einen Bagger anwerfen und fünfundzwanzig Millionen ausbuddeln könntest.«
»Dieses Geld rühre ich nicht an.«
Mit ausgebreiteten Armen wie ein Schiedsrichter ging Sam dazwischen. »Schluss jetzt.«
Rory schloss die Augen.
»Über die moralische Bedeutung des gestohlenen Gelds können wir später diskutieren«, fuhr Sam fort. »Im Moment haben wir ein größeres Problem. Wenn Rory recht hat, sind ihre Cousins in ein schweres Verbrechen verwickelt, bei dem sogar Mord im Spiel ist.«
»Trotzdem verstehe ich es noch immer nicht«, erklärte Rory. »Fünfundzwanzig Millionen Dollar sind natürlich ein Wahnsinnsmotiv. Aber wieso wollen sie ausgerechnet durch mich an die Kohle rankommen?«
Will schaltete sich ein. »Sie sind wütend, weil ihr Dad …«
Sam fuhr herum. »Was?«
»Sie glauben, dass ihr Dad Rory liebt … und das hat irgendwas in ihnen kaputt gemacht.«
»Irgendwas?«, rief Sam erbost. »Vielleicht hat es sie so kaputt gemacht, dass es ihnen egal ist, wenn Rory vor die Hunde geht!«
41
Mit einem Gefühl von Orientierungslosigkeit trat Rory aus dem Schuppen. Schattig und scharf ragten die Berge vor ihr auf.
»Wo willst du hin?«, rief ihr Sam nach.
Sie verlangsamte ihren Schritt und wandte sich um. Ihre Eltern standen in dem breiten Tor.
»Ich erzähle niemandem davon«, versprach sie. »Aber jetzt muss ich erst mal nachdenken.«
Wie ein Zombie stapfte sie zu ihrem Auto. Es fiel ihr schwer zu verdauen, was sie erfahren hatte. Das griechische Wort für Offenbarung war Apokalypse. Enthüllung. Soeben hatte sie
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