Die Zeugin: Thriller (German Edition)
zerfetzt. Sein Schädel ebenfalls. Auf dem Boden breitete sich eine dunkle Blutlache aus. Die Kugel eines Scharfschützen hatte ihn in den Kopf getroffen.
Rory wich einen Schritt zurück. Panisch krochen die Men schen weg von Nixon, bis ein leerer Kreis um sie entstand. Sie hob die Hände. Sie waren sauber, doch im Gesicht spürte sie etwas Nasses. Sie berührte ihre Wange. An ihren Fingern hafteten winzige Bluttröpfchen.
Die Schreie wurden lauter. Wie magnetisch angezogen, wanderte die Lache auf Rory zu. Sie wankte noch einen Schritt nach hinten. In die Fensterscheibe hatte sich auf Augenhöhe ein schartiges Loch gebohrt, umgeben von Sprüngen und weißen Krakellinien. Ein Einschussloch, genau dort, wo sie gestanden hatte.
Nixons Kopf war dreißig Zentimeter von ihr entfernt gewesen. Der Scharfschütze hatte einfach knapp an ihr vorbeigefeuert, um ihn unschädlich zu machen. Rory musste plötzlich würgen und presste sich die Hand vor den Mund.
Reagan starrte auf seinen toten Komplizen. Mit offenem Mund stand er vor der Tür zum Richterzimmer, die Waffe in der Hand. Langsam wanderte sein glasiger Blick von Nixon zum Fenster.
Er fixierte immer noch die durchschlagene Scheibe, als hinter ihm die Tür aufbrach.
Im splitternden Holz platzte ein dunkles Loch auf, und Rory erahnte schattenhafte Gestalten mit einem Rammbock. Dann schepperte es, und ein kleiner zylindrischer Gegenstand rollte in den Saal.
Ehe sie reagieren konnte, explodierte er.
Hart und kompromisslos drang das Krachen in ihre Ohren und in ihren Kopf und betäubte sie komplett. Gleißend helles Licht erfüllte den Raum. Sie wurde an die Wand geschleudert.
Das Klirren in ihren Ohren war so laut, dass sie nichts von den folgenden Schüssen hörte.
12
Um sie herum schwankte und bebte alles. Wie aus weiter Ferne hörte Rory ein hohes Jaulen. Durch den zischenden weißen Rauch schwirrten fadenfeine, rote Laserstrahlen. Sie schwenkten an ihr vorbei und fielen auf Reagan.
Im nächsten Moment zerplatzte seine Jacke zu einem Knäuel aus Stoff und Blut. Sein Kopf wurde nach hinten gerissen, und er brach zusammen.
Das Spezialkommando stürmte den Saal.
Gestalten in schwarzer Montur huschten durch den Rauch, die Waffen im Anschlag. Wie durch Watte nahm Rory Stimmen wahr.
»Polizei! Keine Bewegung.«
Ein Beamter in Helm, Schutzbrille und Panzerkleidung kam mit erhobenem Gewehr auf sie zu, den Finger am Abzug. »Auf die Knie. Hände hinter den Kopf.«
Sie sackte zu Boden und verharrte dort wie eine arme Sünderin. »Officer.«
Er drehte sich um.
Sie deutete mit dem Kinn. »Judge Wieland wurde angeschossen.«
Der Mann spähte in die angezeigte Richtung und gab eine Funkmeldung durch.
Einer nach dem anderen sanken die anderen Geiseln, die bei dem Krach aufgesprungen waren, wieder nach unten. Auf der anderen Seite des Raums kniete hustend Frankie Ortega. Lucy Elmendorf saß auf dem Boden und umarmte ihren Mann.
Ein Beamter des Spezialkommandos untersuchte Nixon. Dann mimte er mit der Hand das Aufschlitzen einer Kehle und zog Nixon die Balaklava herunter. Die dunkle Blutlache um den Kopf des Geiselgangsters schimmerte wie eine Krone aus ausgelaufenen Gedanken.
Keine Widerrede. Du kommst mit. Weil …
Ein raues Gesicht. Ein Mann Mitte vierzig, verwittert und knittrig. Die Augen starrten ins Nirgendwo. Rory wandte den Blick ab.
Inzwischen kniete neben Judge Wieland ein Beamter. Er hielt die Hand des Richters und sprach in ein Funkgerät. Rory fing an zu zittern, und ihr Blick verschwamm. Erst jetzt merkte sie, dass sie weinte.
Ein Polizist forderte die Geiseln auf, sich zu erheben. Er befahl ihnen, nacheinander mit den Händen im Nacken hinauszumarschieren. Als sie draußen zu den Gefängnisbussen gelangten, waren sie bereits durchsucht und mit Kabelbindern gefesselt worden. Das Sonnenlicht blendete Rory. Ihre Knie fühlten sich an wie Knetmasse.
Beim Einsteigen geriet Helen Ellis ins Straucheln. Ein Cop deutete auf die Stufen. »Bitte gehen Sie weiter, Ma’am.«
Helen schien kurz vor dem Zusammenbruch. »Wir sind doch keine Verbrecher.«
»Das ist Vorschrift. Sie müssen einsteigen.«
Rory verlor die Geduld. »Steht in der Vorschrift auch, dass man sich benimmt wie ein Arschloch?«
Der Polizist beäugte sie kühl. »Ihre Festsetzung dient Ihrer eigenen Sicherheit. Das Ganze ist bald vorbei.«
Nicht bald genug. Bei Weitem nicht. Sie half Helen die Stufen hinauf.
U m 19.42 Uhr öffnete sich endlich die Tür zum Verneh mungszimmer. Rory
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