Die Zeugin
den Rücksitz. Gut. Das Kind schlief. Solange es schlief, war alles gut.
Aber was, wenn es nicht mehr schlief? Wenn es aufwachte und zu schreien begann? Schon der Gedanke jagte ihm eine Gänsehaut über den Rücken, ohne daà er gewuÃt hätte, warum.
Sein Atem beruhigte sich erst wieder, als sie wenige Minuten später zurückkam, zwei Styroporbecher und eine weiÃe Papiertüte in den Händen. Er hob den Deckel von dem Becher, den sie ihm reichte, und der verführerische Duft von frischem Kaffee erfüllte das Wageninnere.
»Ah.« Er nippte, verzog das Gesicht und sah sie verdutzt an. »Warum hast du keinen Zucker reingetan?«
Ihr stockte der Atem; ihr Mund blieb offenstehen, aber sie brachte keinen Ton heraus. Sie sah ihm starr in die Augen, dann entspannte sie sich, runzelte die Stirn und setzte eine Schämdich-Miene auf. »Seit wann trinkst du deinen Kaffee mit Zukker?«
Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, nippte er wieder an seinem Becher. Er hatte das unbestimmte Gefühl, seinen Kaffee tatsächlich am liebsten schwarz und ohne Zucker zu trinken. Es sollte eine Falle für sie sein, aber sie war zu schlau, um ihm auf den Leim zu gehen.
»Du bist gut«, räumte er zögernd ein. »Du bist verdammt gut.«
»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.«
Er schnaubte und öffnete die Tüte. »Was gibtâs zum Frühstück?«
Er hatte zwei der weichen Brötchen mit Schweinsbratwürsten verschlungen, bevor er merkte, daà sie aus ihrem die Fleischeinlage entfernt hatte. »Hast du meine Würste vielleicht vergiftet?«
»Jetzt hör endlich auf«, stöhnte sie.
»Also, was ist dann damit?«
»Nichts vermutlich«, antwortete sie und bià in ihr leeres Brötchen. »Aber ich esse kein Schweinefleisch mehr.«
»Nicht mehr? Das heiÃt, früher hast du welches gegessen. Warum hast du damit aufgehört?«
»Gibt es nichts Wichtigeres zu besprechen?« Sie leckte sich
die fettigen Krümel von den Fingerspitzen. »Du solltest deine Entscheidung noch einmal überdenken und zu einem Arzt gehen.«
»Nein. Nein «, wiederholte er energisch, als er merkte, daà sie ihm widersprechen wollte. »Alles, was ich brauche, sind ein paar trockene Sachen und Aspirin.«
»Okay. Also gut. SchlieÃlich ist es dein Kopf.«
»Ich würde gern wissen, wie ich heiÃe.«
»Was?« Sie erstarrte und sah ihn alarmiert an, ohne auch nur einmal zu blinzeln.
»Im Krankenhaus waren alle eifrig darauf bedacht, mich nicht mit Namen anzusprechen«, sagte er. »Nicht mal dieser Deputy nannte mich beim Namen, als er mich vernahm.«
»Eine Anordnung des Arztes. Er wollte nicht, daà wir dich aufregen und verwirren.«
»Wie heiÃe ich?«
»John.«
»John«, er probierte den Namen an wie ein neues Hemd. Er paÃte nicht schlecht. Aber auch nicht besonders gut. »Und du?«
»Kendall.«
Die Namen sagten ihm nichts. Rein gar nichts. Er sah sie miÃtrauisch an.
Fast zu unschuldig fragte sie ihn: »Und â klingelt irgendwas?«
»Nein. Weil ich fast sicher bin, daà du lügst.«
Sie würdigte ihn keines Kommentars. Statt dessen lieà sie den Wagen an und fuhr über eine Stunde, bis sie in einen Ort kamen, in dem sonntags ein Laden geöffnet hatte. »Sag mir, was du alles brauchst«, forderte sie ihn auf, nachdem sie den Wagen geparkt hatte.
Sie notierte sich die Toilettenartikel, die er aufzählte. »Und ein paar Anziehsachen«, ergänzte er.
»Irgendwas Bestimmtes?«
»Einfach Anziehsachen. Und eine Zeitung bitte.«
»Eine Zeitung?« Sie zögerte einen Augenblick, nickte dann und wollte die Tür öffnen. »Es wird etwas dauern. Ich muà mir nämlich auch einiges kaufen.«
Bevor sie ausgestiegen war, fragte er: »Wie willst du eigentlich bezahlen?«
»Bar.«
»Woher hast du das Geld?«
»Das habe ich mir verdient«, antwortete sie kurz und öffnete die Fahrertür.
Er hielt sie nochmals zurück. »Warte. Du brauchst meine KleidergröÃe.«
Sie beugte sich über ihren Sitz und drückte ihm das Knie. »Du Witzbold, die weià ich doch.«
Ein elektrischer Schlag durchzuckte ihn bei dieser spontanen und vertraulichen Berührung.
Während er beobachtete, wie sie zum Eingang des Supermarkts ging, fragte er sich zum tausendsten Mal: Wer
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