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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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wahr, wie du inzwischen wissen solltest. Einmal bist du einer Frau namens Cyriaca begegnet, die dir Sagen über die großen Denkmaschinen der Vergangenheit erzählt hat. Es befindet sich eine solche Maschine in dem Schiff, womit wir gefahren sind. Sie kann in deinen Verstand schauen.«
    Ich fragte: »Du bist also diese Maschine?« Ein Gefühl von Einsamkeit und Ungewisser Furcht kam in mir auf.
    »Ich bin Meister Malrubius, und Triskele ist Triskele. Die Maschine hat deine Erinnerungen durchsucht und uns gefunden. Unser Leben in deinem Gedächtnis ist nicht so ausgeprägt wie das von Thecla oder vom alten Autarchen, aber wir sind nichtsdestoweniger darin enthalten und leben mit dir fort. In der dinglichen Welt jedoch entstehen wir durch die Energien der Maschine, deren Reichweite allerdings nur ein paar Jahrtausende beträgt.«
    Während er diese letzten Worte sprach, löste er sich schon in funkelnden Staub auf. Einen Augenblick lang leuchtete er im kalten Sternenschein. Dann war er verschwunden. Triskele blieb noch ein paar Atemzüge länger bei mir, und als sein gelbbraunes Fell schon silberweiß wurde und im Wind verwehte, hörte ich ihn noch bellen.
    Dann stand ich allein am Gestade des Meeres, nach dem ich mich so oft gesehnt hatte; obwohl ich allein war, fand ich es famos und atmete die Luft, die wie keine andere ist, und lauschte dem sanften Lied der kleinen Wellen. Das Land – Nessus, das Haus Absolut und alles andere – lag im Osten; im Westen lag das Meer; ich ging nordwärts, an der Küste entlang, weil ich mich nicht von ihr trennen wollte und Triskele in diese Richtung gerannt war. Mochte sich dort auch Abaia mit seinen Weibern suhlen, das Meer war älter als er und klüger; wir Menschen kommen wie alles Leben an Land aus dem Meer; und weil wir es nicht bezwingen konnten, war es stets unser. Die alte rote Sonne stieg zu meiner Rechten auf und küßte die Wellen und breitete ihre welkende Schönheit aus, und ich lauschte dem Ruf der Seevögel, der unzähligen Vögel.
     
    Als die Schatten kurz geworden waren, war ich müde. Mein Gesicht und die Wunde am Bein schmerzten; ich hatte seit dem Mittag des vergangenen Tages nichts mehr gegessen und bis auf die Trance im ascischen Zelt nicht geschlafen. Ich hätte gerastet, wenn ich gekonnt hätte, aber die Sonne brannte, und die Steilklippen am Strand boten keinen Schatten. Schließlich folgte ich den Spuren eines zweirädrigen Karrens und gelangte zu einer Düne, in der wilde Rosenbüsche wuchsen. Dort hielt ich inne und setzte mich in ihrem Schatten nieder, um die Stiefel auszuziehn und den Sand auszuleeren, der durch die geplatzten Nähte eingedrungen war.
    Ein Dorn streifte mich am Unterarm, brach von seinem Zweig und blieb in meiner Haut stecken; an der Spitze hatte sich ein scharlachroter Blutstropfen gebildet, der nicht größer als ein Hirsekorn war. Ich zog den Dorn heraus – und sank auf meine Knie.
    Es war die Klaue.
    Die Klaue, die vollkommene, schwarzglänzende, die ich unter den Altar der Pelerinen gelegt hatte. Der ganze Busch und alle anderen, die dort wuchsen, trugen weiße Blüten und diese vollkommenen Klauen. Diejenige in meiner Hand erstrahlte in hellem Licht, als ich sie betrachtete.
    Zwar hatte ich die Klaue abgetreten, nicht aber ihr Ledersäcklein, das Dorcas dafür genäht hatte. Dieses nahm ich nun aus meiner Gürteltasche und hängte es in gewohnter Weise um den Hals, abermals mit der Klaue gefüllt. Erst als ich sie so weggesteckt hatte, fiel mir wieder ein, daß ich einen solchen Busch schon zu Beginn meiner Reise im Botanischen Garten gesehen hatte.
     
    Niemand kann so etwas erklären. Seit meiner Ankunft im Haus Absolut habe ich mit den Heptarchen und verschiedenen anderen gesprochen; aber sie haben mir sehr wenig sagen können bis auf den Hinweis, daß es dem Increatus schon öfter gefallen habe, sich in solchen Pflanzen zu zeigen.
    Damals dachte ich nicht daran, so verdutzt war ich – aber könnte es nicht sein, daß wir zum unfertigen Sandgarten geleitet wurden? Ich trug die Klaue schon bei mir, auch wenn ich’s noch nicht wußte; Agia hatte sie mir bereits unter die Lasche meiner Gürteltasche gesteckt. Könnte es nicht sein, daß wir in den unfertigen Sandgarten gekommen sind, damit die gegen den Sturm der Zeit anfliegende Klaue Abschied nehmen könnte? Die Idee ist absurd. Aber dann sind alle Ideen absurd.
    Mit einemmal – und mit solcher Wucht, daß ich wie von einem Schlag getroffen taumelte – fiel mir auf, falls

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