Die Zitadelle des Autarchen
ich am nächsten Morgen erwachte, waren an den gediegeneren Bauten sogar die oberen Stockwerke noch erhalten. Bald darauf bemerkte ich ein kleines Boot, ein neues, das an einem uralten Pier festgemacht war. Ich zeigte es dem Kapitän, der über meine Unbedarftheit lächelte und sagte: »Es gibt Familien, die seit Generationen davon leben, die Ruinen zu durchwühlen.«
»Das hab’ ich mir auch sagen lassen, aber es kann keins ihrer Boote sein. Es ist zu klein, und es ließe sich nicht viel damit abtransportieren.«
»Juwelen oder Münzen. Keiner ginge sonst hier an Land. Hier herrschen weder Recht noch Ordnung – die Plünderer bringen sich gegenseitig um – und jeden sonst, der hier an Land geht.«
»Ich muß dorthin. Könnt ihr auf mich warten?«
Er sah mich an, als wäre ich verrückt. »Wie lang?«
»Bis zum Mittag. Nicht länger.«
»Schau!« sagte er, deutend. »Vor uns liegt die letzte große Biegung. Steig hier aus und triff uns da drüben! Es wird bis zum Nachmittag dauern, bis wir dort sind.«
Ich war einverstanden, also ließ er das Boot der Samru wassern und hieß vier Mann, mich an Land zu skullen. Als wir schon abstoßen wollten, schnallte er sein Craquemart ab und reichte es mir mit den ernsten Worten: »Es hat mir in vielen blutigen Kämpfen beigestanden. Geh auf die Köpfe, aber hau mir an ihren Gürtelspangen keine Scharten in die Schneide!«
Ich nahm die Waffe dankend an und erklärte ihm, ich hätte es stets auf den Hals abgesehen. »Das ist gut«, meinte er, »solange keine Schiffskameraden dabeistehn, die Schaden nehmen könnten, wenn du danebenhaust«, wobei er sich den Schnurrbart zwirbelte.
Im Heck sitzend, hatte ich reichlich Gelegenheit, die Mienen meiner Ruderer zu beobachten, die offenbar das Ufer fast ebensosehr fürchteten wie mich. Sie legten an dem kleinen Boot an und brachten das ihre fast zum Kentern vor lauter Eile, wieder fortzukommen. Nachdem ich mich vergewissert hatte, daß das, was ich von der Reling aus gesehen hatte, tatsächlich das war, wofür ich’s gehalten hatte, nämlich eine welke rote Mohnblume, die auf der einzigen Bank im Boot liegengeblieben war, sah ich ihnen nach, wie sie zur Samru zurückruderten, und bemerkte, daß die Riemen draußen waren und im schnellen Takt eintauchten, obwohl eine Brise das Großsegel blähte. Vermutlich wollte der Kapitän die lange Biegung so rasch wie möglich umrunden; wenn ich nicht an der bezeichneten Stelle wäre, könnte er ohne mich weiterfahren, indem er sich (und anderen, falls ihm Fragen gestellt würden) sagte, nicht er, sondern ich hätte die Verabredung nicht eingehalten. Indem er mir sein Craquemart abgetreten hatte, hatte er sein Gewissen Weiter beschwichtigt.
Steinerne Stufen ähnlich jenen, von denen aus ich als Knabe das Bad im Fluß angetreten hatte, waren in die Seiten des Piers gehauen. Obenauf war er leer und von Gras bedeckt, das schier wie auf einer Wiese zwischen den Steinplatten wucherte. Die verfallene Stadt, meine Stadt Nessus, auch wenn’s das Nessus einer früheren Zeit war, lag still vor mir. Ein paar Vögel zogen über mir ihre Kreise, aber sie waren so still wie die in der Sonne verblaßten Sterne. Der Gyoll, der unentwegt vor sich hin murmelte, war scheinbar schon in weite Ferne gerückt, als ich durchs leere Gemäuer humpelte. Sobald sein Wasser nicht mehr in Sicht war, verstummte es, wie ein scheuer Besucher zu sprechen aufhört, wenn wir ein anderes Zimmer betreten.
Es hatte den Anschein, als könnte dies kaum das Viertel sein, woraus (wie Dorcas mir erzählt hatte) Möbel und Gebrauchsgegenstände geholt wurden. Zunächst blickte ich oft durch Fenster und Türen hinein, aber es war darin nichts zu sehen als Unrat und ein wenig dürres Laub von den jungen Bäumen, die das Steinpflaster überall aufgesprengt hatten. Ebensowenig entdeckte ich Spuren von plündernden Menschen, obschon ich auf tierischen Kot und ein paar Federn und zerstreute Knochen stieß.
Ich weiß nicht, wie weit landeinwärts ich gegangen bin. Vielleicht war’s eine Meile, vielleicht viel weniger. Daß ich die bequeme Samru verpassen könnte, bekümmerte mich kaum. Ich hatte den weiten Weg von Nessus zur Front in den Bergen größtenteils zu Fuß zurückgelegt, und obschon ich noch hinkte, waren meine bloßen Fußsohlen auf dem Deck unempfindlich geworden. Da ich mich nie richtig daran gewöhnen konnte, ein Schwert um die Hüften zu tragen, zog ich das Craquemart und legte es mir über die Schulter, wie ich auch
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