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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Eindruck, aus Hell werde Dunkel. Erinnerst du dich an deinen Namen?«
    Er überlegte eine Weile und lächelte dann wehmütig. »Ich hab’ ihn irgendwo unterwegs verloren. So sprach der Jaguar, der versprochen hatte, den Ziegenbock zu hüten.«
    Der stämmige Mann mit dem kahlgeschorenen Schädel war zurückgekommen, ohne daß einer von uns es bemerkt hätte. Er half mir aus dem Zuber und reichte mir ein Handtuch, womit ich mich abtrocknen konnte, einen Mantel zum Anziehen und einen Leinenbeutel, der meine nun frisch ausgeräucherten Siebensachen enthielt. Einen Tag früher hätte es mich schier in den Wahnsinn getrieben, die Klaue für einen Moment aus der Hand zu geben. In dieser Nacht bemerkte ich erst, daß sie weg gewesen war, als ich sie zurückbekam, und sah erst nach, daß sie tatsächlich zurückgegeben worden war, als ich auf einem der Feldbetten unter einem Fliegennetz lag. Nun glänzte die Klaue in meiner Hand weich wie der Mond; und sie hatte eine Form, wie auch der Mond sie manchmal hat. Ich lächelte beim Gedanken, daß das fahle Licht ein Widerschein der Sonne sei.
    In der ersten Nacht zu Saltus war ich erwacht in der Vorstellung, im Lehrlingsschlafsaal unseres Turmes zu liegen. Nun erlebte ich das gleiche umgekehrt: Ich schlief und glaubte im Schlaf, das düstere Lazarett mit seinen stummen Gestalten und schaukelnden Lampen sei nicht mehr als eine Halluzination des Tages.
    Ich setzte mich auf und blickte mich um. Ich fühlte mich wohl – ja besser denn je zuvor; aber mir war warm. Ich schien innerlich zu glühen. Roche schlief auf der Seite; sein roter Haarschopf war verwuschelt, der Mund leicht geöffnet, seine Züge wirkten gelöst und bübisch ohne die Energie des Geistes dahinter. Durch das Fenster sah ich die Schneewehen im Alten Hof, neu gefallenen Schnee ohne Fußspuren von Menschen und ihren Tieren; allerdings kam mir in den Sinn, daß in der Nekropolis schon aberhundert Fährten sichtbar wären, denn das Getier, das sich dort eingenistet hatte, die gehätschelten Spielgefährten der Toten, wäre hervorgekommen, um nach Nahrung zu suchen und sich in der von der Natur neu gezauberten Landschaft zu ergehen. Ich schlüpfte geschwind und leise in meine Kleider, wobei ich den Finger an den Mund hielt, wenn einer der anderen Lehrlinge sich regte, und eilte über die steile Treppe, die sich durch die Turmmitte wand.
    Sie kam mir länger vor als sonst, und nur mühsam kam ich Stufe um Stufe voran. Beim Erklimmen einer Treppe sind wir uns stets der hemmenden Schwerkraft bewußt, setzen ihre Hilfe aber voraus, wenn wir hinuntersteigen. Nun war diese Hilfe so gut wie versiegt. Ich mußte jeden Fuß gewaltsam nach unten setzen, aber in einer solchen Weise, daß es mich beim Aufsetzen der Sohle nicht emporschleuderte, was bei einem Stapfen passiert wäre. Mit jener Einsicht, die uns in Träumen zuteil wird, erkannte ich, daß die Türme der Zitadelle endlich aufgestiegen und auf der Reise aus dem Kreis der Dis waren. Dieses Wissen erfüllte mich mit Freude, aber dennoch wollte ich in die Nekropolis gehen, um den Füchsen und Nasenbären nachzuspüren. Ich eilte hinunter, so schnell ich konnte, bis ich ein Ächzen hörte. Die Treppe führte eigentümlicherweise nicht mehr weiter hinab, sondern in eine Stube, genau wie die Treppen in Baldanders’ Burg entlang der Zimmermauern verlaufen waren.
    Dies war Meister Malrubius’ Krankenzimmer. Meister haben Anspruch auf geräumige Quartiere; freilich war dieser Raum noch viel größer als die ursprüngliche Stube. Es gab zwei Rundfenster, woran ich mich erinnerte, aber sie waren riesig – die Augen von Mont Typhon. Meister Malrubius’ Bett war sehr breit, wirkte aber dennoch verloren in dem gewaltigen Saale. Zwei Gestalten beugten sich über ihn. Obgleich sie dunkel gekleidet waren, fiel mir auf, daß es sich nicht um das Schwarz der Gilde handelte. Ich ging zu ihnen, und als ich so nahe war, daß ich das Keuchen des kranken Mannes vernahm, richteten sie sich auf und kehrten sich mir zu. Es waren die Sibylle und ihre Gehilfin Merryn, die Hexen, denen wir auf dem Grabbau in den Ruinen der steinernen Stadt begegnet waren.
    »Ach endlich, Schwester, bist du da«, sagte Merryn.
    Während sie das sagte, erkannte ich, daß ich nicht, wie angenommen, der Lehrling Severian war. Ich war Thecla, so wie sie gewesen war, als sie seine Größe hatte, nämlich etwa dreizehn oder vierzehn Jahre alt. Ich schämte mich – nicht wegen des Mädchenkörpers und nicht wegen der

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