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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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einem.«
    »Jonas – so hieß er – hatte eine gewisse Art des Redens. Immer’ wenn er etwas Unangenehmes zu sagen hatte, schwächte er es ab, indem er das Gesagte ins Lächerliche zog und mit einer komischen Situation verknüpfte. In unserer ersten Nacht hier fragte ich dich nach deinem Namen, und du erklärtest: ›Ich hab’ ihn irgendwo unterwegs verloren. So sprach der Jaguar, der versprochen hatte, den Ziegenbock zu hüten.‹ Weißt du noch?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich rede allerhand Blödsinn.«
    »Es mutete mich seltsam an, denn solche Sprüche hatte Jonas immer gebraucht, auch wenn er sich nicht so geäußert hätte, es sei denn, er hätte mehr damit ausdrücken wollen, als du offenbar meintest. Er hätte wohl gesagt: ›… sprach der Korb, der mit Wasser gefüllt worden war‹ oder etwas in der Art.«
    Ich wartete auf eine Erwiderung von ihm, aber es kam nichts.
    »Gefressen hat der Jaguar ihn natürlich, den Ziegenbock. Das Fleisch verschlungen und die Knochen gebrochen auf dem Wege.«
    »Hast du dir nie überlegt, daß es vielleicht bloß eine örtliche Gepflogenheit ist, so zu reden? Stammt vielleicht aus derselben Stadt wie ich, dein Freund.«
    Ich entgegnete: »Es war eine Zeit, denke ich, kein Ort. Es mußte jemand vor langer Zeit Furcht entwaffnen – die Furcht, die Menschen aus Fleisch und Blut empfinden, wenn sie in ein Gesicht aus Stahl und Glas blicken. Jonas, ich weiß, daß du mir zuhörst. Ich kann’s dir nicht verübeln. Der Mann war tot, und du lebtest noch. Das verstehe ich. Aber, Jonas, Jolenta ist nicht mehr – ich hab’ sie sterben sehen und versucht, sie mit der Klaue zurückzuholen, aber es hat nichts geholfen. Vielleicht ist sie zu künstlich gewesen, ich weiß es nicht. Nun wirst du dir jemand anders suchen müssen.«
    Der Soldat erhob sich. Seine Miene war nicht länger zornig, sondern leer wie das Gesicht eines Schlafwandlers. Er kehrte sich um und ging ohne ein weiteres Wort davon.
    Etwa eine Wache lang lag ich, die Hände im Nacken verschränkt, auf dem Feldbett und dachte über vieles nach. Hallvard, Melito und Foila unterhielten sich, aber ich achtete nicht auf das, was sie sprachen. Als eine der Pelerinen das Mittagsmahl brachte, verschaffte sich Melito Gehör, indem er mit Gabel und Teller klirrte, und rief: »Severian, dürfen wir dich um einen Gefallen bitten?«
    Ich war froh, aus meinem Grübeln gerissen worden zu sein, und erklärte, ich würde gern helfen, falls es in meiner Macht stünde.
    Foila, die jenes strahlende Lächeln hatte, das die Natur manchen Frauen gewährt, schenkte mir nun ein solches Lächeln. »Es geht um folgendes: Diese beiden zanken sich schon den ganzen Morgen um mich. Wären sie gesund, könnten sie die Sache auskämpfen, aber es wird noch eine ganze Weile dauern, bevor sie dazu in der Lage sind, und so lange kann ich’s, denk’ ich, nicht aushalten. Heute dachte ich an Mutter und Vater, wie sie an langen Winterabenden vor dem Kamin saßen. Wenn Hallvard und ich oder Melito und ich heiraten, werden wir das eines Tages auch tun. Also habe ich beschlossen, den besten Geschichtenerzähler zu heiraten. Sieh mich nicht an, wie wenn ich verrückt wäre –’s ist das einzig Vernünftige. Beide begehren mich, beide sind stattliche Männer, keiner hat Vermögen, und wenn wir das nicht klären, bringen sie sich um oder ich bringe sie um. Du bist gebildet – das verrät uns die Art, wie du sprichst. Du hörst zu und entscheidest. Hallvard soll den Anfang machen, und die Geschichten sollen frei erfunden, nicht aus irgendwelchen Büchern sein.«
    Hallvard, der ein bißchen gehen konnte, stand von seinem Feldbett auf und setzte sich aufs Fußende von Melitos Pritsche.

 
Hallvards Geschichte: Die beiden Robbenjäger
     
    Dies ist eine wahre Geschichte. Ich kenne viele Geschichten. Manche sind erfunden, obwohl die erfundenen in grauer Vorzeit vielleicht wahr gewesen sind. Ich kenne auch viele wahre Geschichten, denn auf den Inseln des Südens geschehen viele Dinge, wovon ihr Menschen des Nordens nicht einmal träumt. Ich wähle diese, weil ich selbst dabeigewesen bin und soviel davon gesehen und gehört habe wie jeder andere.
    Ich stamme von der östlichsten der Inseln des Südens, die Glacies heißt. Auf unserer Insel lebte ein Mann mit seinem Weib, meine Großeltern, die drei Söhne hatten. Sie hießen Anskar, Hallvard und Gundulf. Hallvard war mein Vater, und als ich groß genug war, auf seinem Boot zu helfen, jagte und fischte er nicht

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