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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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mehr mit seinen Brüdern. Statt dessen fuhren wir beide hinaus, so daß wir alles, was wir fingen, meiner Mutter, meinen Schwestern und meinem jüngeren Bruder bringen konnten.
    Da meine Onkel nicht heirateten, teilten sie sich ein Boot. Was sie fingen, verzehrten sie selbst oder überließen sie meinen Großeltern, die nicht mehr bei Kräften waren. Im Sommer bebauten sie Großvaters Land. Er besaß das beste der ganzen Insel, das einzige Tal, das vor dem eisigen Wind geschützt war. Dort konnte man Früchte ziehen, die anderswo auf Glacies nicht gediehen wären, denn die Reifezeit in diesem Tal war zwei Wochen länger.
    Als mir der erste Bart sproß, rief Großvater alle Männer unserer Familie zusammen – nämlich meinen Vater, meine zwei Onkel und mich. Als wir zu seinem Haus gelangten, war Großmutter gestorben, und der Priester der großen Insel war gekommen, ihren Leichnam aufzubahren. Ihre Söhne weinten, wie auch ich.
    Als wir an jenem Abend an Großvaters Tisch saßen, wobei er am einen und der Priester am anderen Ende Platz genommen hatte, sagte er: ›Nun ist es Zeit, daß ich meinen Besitz übergebe. Bega ist von uns gegangen. Ihre Familie hat keinen Anspruch mehr darauf, und ich werde ihr bald folgen. Hallvard ist verheiratet und hat den Teil, der von seiner Frau stammt. Damit findet seine Familie ein Auskommen, und auch wenn ihnen wenig übrigbleibt, müssen sie nicht hungern. Du, Anskar, und du, Gundulf, wollt ihr je heiraten?‹
    Meine Onkel schüttelten beide den Kopf.
    ›Dann sei dies mein Wille. Ich rufe den Allmächtigen zum Zeugen an und die Diener des Allmächtigen. Wenn ich sterbe, soll alles, was ich habe, an Anskar und Gundulf gehen. Wenn der eine stirbt, soll’s an den anderen gehen. Wenn beide tot sind, soll’s an Hallvard gehen, und ist Hallvard tot, soll’s unter seinen Söhnen aufgeteilt werden. Ihr vier – wähnt ihr meinen Willen für ungerecht, so sprecht nun!‹
    Keiner hub zu sprechen an, also war der Wille angenommen.
    Ein Jahr verstrich. Ein Schiff von Erebus tauchte plündernd aus den Nebeln auf, und zwei Schiffe legten an, um Häute, Fischbein und Salzfisch zu laden. Mein Großvater starb, und meine Schwester Fausta gebar ihre Tochter. Nachdem die Ernte eingebracht war, fischten meine Onkel mit den anderen Männern.
    Wenn im Süden der Frühling kommt, ist es noch zu zeitig zum Aussäen, denn es steht noch mancher Nachtfrost bevor. Aber wenn die Männer sehen, daß die Tage rasch länger werden, begeben sie sich zu den Robbenkolonien; diese liegen auf Felsen fern der Küste. Es gibt dort viel Nebel, und die Tage sind, wenngleich länger werdend, noch kurz. Oft sind es die Männer, die ums Leben kommen, nicht die Robben.
    Und so geschah es auch mit meinem Onkel Anskar, denn Onkel Gundulf kam allein in ihrem Boot zurück.
    Nun müßt ihr wissen, wenn unsere Männer auf Robben oder Fischfang gehen oder anderen Tieren des Meeres nachstellen, binden sie sich an ihren Booten fest. Das Seil ist aus geflochtener Walroßhaut und so lang, daß ein Mann sich in seinem Boot frei bewegen kann, aber nicht länger. Das Meerwasser ist sehr kalt und tötet rasch jeden, der darin bleibt, aber unsere Männer sind mit dichtvernähten Robbenfellen bekleidet, und oft gelingt es einem Bootskameraden, ihn wieder herauszuziehen und ihm so das Leben zu retten.
    Dies ist die Geschichte, die mein Onkel Gundulf erzählte. Sie waren weit hinausgefahren zu einer Kolonie, die kein anderer aufgesucht hatte, als Anskar im Wasser einen Robbenbullen schwimmen sah. Er warf seine Harpune, und als der getroffene Bulle brüllte, hatte er sich mit dem Fuß in einer Schlinge der Harpunenleine verfangen, so daß er ins Meer gerissen wurde. Er, Gundulf, habe versucht, ihn herauszuziehen, denn er sei ein sehr starker Mann. Aber das Ziehen und das Ziehen des Bullen an der Harpunenleine, die am Mastfuß festgezurrt war, brachten das Boot zum Kentern. Gundulf rettete sich, indem er sich Handbreit um Handbreit zurückzog und mit dem Messer die Harpunenleine kappte. Nachdem das Boot wieder umgedreht war, versuchte er, Anskar an Bord zu holen, aber die Sicherheitsleine war gerissen. Er zeigte das ausgefranste Seilende. Mein Onkel Anskar war tot.
    In meinem Volk sterben Frauen an Land, Männer aber auf See, weshalb wir so ein Grab, wie ihr es macht, ›Frauenboot‹ nennen. Wenn ein Mann wie Onkel Anskar stirbt, wird eine Tierhaut aufgespannt, für ihn bemalt und in dem Haus aufgehängt, wo die Männer zum Reden

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