Die Zitadelle des Autarchen
blutrünstigen Familie stammt.«
»Melito hält mich für klüger, als ich bin«, versetzte der Blonde. »Ich hatte keine solchen Gedanken. Es geht nun nicht um Ländereien, Felle oder Gold, sondern darum, wer die beste Geschichte erzählt. Und ich, der ich viele kenne, habe die beste erzählt, die ich kenne. Es stimmt, was er sagt, daß ich etwas vom Familenbesitz erbe, wenn mein Vater stirbt. Aber meinen unverheirateten Schwestern steht auch ein Teil als Mitgift zu, und nur was übrigbleibt, wird zwischen meinem Bruder und mir geteilt. All das spielt keine Rolle, denn ich würde mit Foila nie in den Süden gehn, wo das Leben so hart ist. Seit ich eine Lanze trage, habe ich viele bessere Gegenden gesehn.«
Foila sagte: »Dein Onkel Gundulf hat Nennoc wohl sehr geliebt.«
Hallvard nickte. »Das sagte er auch, als er in Fesseln lag. Aber alle Männer des Südens lieben ihre Frauen. Ihretwegen nehmen sie die rauhe See im Winter, die Stürme und frostigen Nebel auf sich. Man sagt, wenn ein Mann sein Boot über den Strand ins Wasser schiebt, murmelt der Kiel, der über die Steine gleitet: Mein Weib, meine Kinder, meine Kinder, mein Weib.«
Ich fragte Melito, ob er nun seine Geschichte beginnen wolle; aber er schüttelte den Kopf und erwiderte, wir alle seien noch so mit Hallvards Geschichte beschäftigt, daß er warten und die seine auf morgen verschieben möchte. Sodann stellten alle Fragen an Hallvard über das Leben im Süden und verglichen, was sie erfuhren, mit der Lebensweise des eigenen Volkes. Nur der Ascier blieb stumm. Ich mußte unwillkürlich an die schwimmenden Inseln vom See Diuturna denken und berichtete Hallvard und den anderen darüber, obschon ich den Kampf in Baldanders’ Schloß nicht erwähnte. So unterhielten wir uns, bis es Zeit zum Abendessen war.
Die Pelerine
Der Tag neigte sich, und wir wurden nach dem Abendessen stiller, nicht nur aus Schwäche, sondern auch, weil wir wußten, daß die Schwerverwundeten meist nach Sonnenuntergang und insbesondere in tiefer Nacht starben. Das war die Zeit, wenn vergangene Schlachten ihren Preis forderten.
Auch in anderer Hinsicht führte uns die Nacht den Krieg deutlicher vor Augen. Hin und wieder – und in jener Nacht erinnere ich mich ganz genau daran – zuckten die Entladungen der mächtigen Energiewaffen wie Wetterleuchten über den Himmel. Man hörte die Posten zu ihren Stellungen marschieren, so daß das Wort Wache, das wir so oft lediglich in der Bedeutung von einem Zehntel der Nacht verwenden, zur hörbaren Realität aus stapfenden Füßen und unverständlichen Befehlen wurde.
Es kam ein Moment des Schweigens, der immer länger wurde, nur unterbrochen vom Geflüster der Gesunden – der Pelerinen und ihrer Sklaven –, die sich nach dem Befinden dieses oder jenes Patienten erkundigten. Eine der scharlachgewandeten Priesterinnen kam und setzte sich an mein Feldbett, aber ich war so träge, so schläfrig, daß ich erst nach einer Weile bemerkte, sie müsse einen Hocker mitgebracht haben.
»Du bist Severian«, sagte sie, »der Freund von Miles?«
»Ja.«
»Ihm ist sein Name wieder eingefallen. Dachte mir, das wird dich interessieren.«
Ich fragte, wie er laute.
»Nun, Miles natürlich. Sagte ich doch schon.«
»Es wird ihm, denk’ ich, im Laufe der Zeit immer mehr einfallen.«
Sie nickte. Sie schien eine Frau mittleren Alters, mit einem gütigen, ernsten Gesicht. »Ganz bestimmt. Seine Heimat und seine Familie.«
»Wenn er Heim und Familie hat.«
»Ja, manche vermögen nicht einmal, sich ein Heim zu schaffen.«
»Damit meint Ihr wohl mich.«
»Keineswegs. Jedenfalls ist gegen dieses Nichtvermögen nichts zu machen. Aber es ist besonders für einen Mann viel besser, ein Heim zu haben. Wie der Mann, von dem dein Freund erzählt hat, glauben die meisten Männer, sie gründen das Heim für die Familie, während sie eigentlich sowohl Heim als auch Familie für sich selbst gründen.«
»Ihr habt also Hallvards Geschichte gehört?«
»Einige von uns hörten sie. Eine Schwester holte mich an der Stelle, wo der Großvater seinen Letzten Willen kundgab. Ich hörte sie bis zum Ende. Weißt du, was verkehrt war mit dem bösen Onkel? Mit Gundulf?«
»Daß er verliebt war, nehm’ ich an.«
»Nein, das war gut an ihm. Jeder, siehst du, ist wie eine Pflanze. Es gibt einen hübschen grünen Teil, oft mit Blüten und Früchten, der oberirdisch wächst, der Sonne, dem Increatus zu. Es gibt auch einen dunklen Teil, der davon wegstrebt und
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