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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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gestorben«, erklärte ich und begann von meinem Duell mit Agilus zu erzählen.
    »Warte!»« sagte sie. »Du mußt sie behalten.« Womit sie mir die Klaue zurückgab. »Ich bin nicht mehr jung, wie du siehst. Im kommenden Jahr begehe ich mein dreißigjähriges Ordensjubiläum. An jedem der fünf Hochfeste des Jahres bis zum heurigen Frühling sah ich die Klaue des Schlichters, wenn sie zur Anbetung ausgesetzt wurde. Es war ein großer Saphir, groß wie ein Orikalkum und bestimmt mehr wert als viele Villen zusammen, weswegen sie zweifellos gestohlen wurde.«
    Ich wollte sie unterbrechen, aber sie gebot mir mit einer Geste zu schweigen.
    »Und was das Wunderheilen und gar das Auferwecken von Toten angeht, so glaubst du doch wohl nicht, daß unser Orden so viele Kranke um sich hätte, wenn dem so wäre? Wir sind wenige – viel zu wenige für die Arbeit, die wir tun müssen. Aber wenn bis zum heurigen Frühling nicht so viele gestorben wären, so wären wir viel zahlreicher. Viele, die ich liebte, meine Lehrerinnen und Freundinnen, wären noch bei uns. Einfältige Menschen brauchen ihre Wunder, selbst wenn sie den Schmutz vom Stiefel eines Epopten kratzen und verschlingen müssen. Wir hoffen, daß es sie noch gibt und daß sie nicht in kleinere Steine zerteilt worden ist, denn die Klaue des Schlichters ist das letzte Relikt vom allergrößten Menschen, das wir besitzen, und wir haben es in Ehren gehalten, weil wir sein Andenken in Ehren halten. Wenn’s so etwas gewesen wäre, wie du zu haben glaubst, so wär’s für jeden wertvoll gewesen, und die Autarchen hätten es uns längst entrissen.«
    »Es ist eine Klaue …«, begann ich.
    »Das war nur eine Wolke im Herzen des Juwels. Der Schlichter war ein Mensch, Severian der Liktor, keine Katze und kein Vogel.« Sie stand auf.
    »Sie zerschellte an den Felsen, als der Riese sie über den Zinnenkranz warf …«
    »Ich hoffte, dich beruhigen zu können, seh’ aber, daß du nur noch aufgeregter wirst«, beschwichtigte sie mich. Ganz überraschend lächelte sie dabei, beugte sich vor und küßte mich. »Wir begegnen hier vielen, die Dinge glauben, die nicht so sind. Nicht viele haben Vorstellungen, die so für sie sprechen wie die deinen. Wir können gern ein andermal weiter darüber reden.«
    Ich sah der schmalen, scharlachgewandeten Gestalt nach, bis sie sich in der Dunkelheit und Stille der Bettenreihen verlor. Während unseres Gesprächs waren die meisten Kranken eingeschlafen. Ein paar stöhnten. Zwei Sklaven brachten auf einer Bahre einen Verwundeten herein, während ein dritter ihnen eine Lampe voraustrug, damit sie etwas sähen. Ihre schweißbedeckten kahlgeschorenen Schädel glänzten im Licht. Sie legten den Verwundeten auf einem Feldbett ab, richteten seine Gliedmaßen, als wäre er tot, und gingen wieder.
    Ich betrachtete die Klaue. Sie war schwarz und leblos gewesen, als die Pelerine sie sah, aber nun strömten lautlos weiße Funken von Spitze zu Spitze. Ich fühlte mich gesund – und fragte mich, wie ich es den ganzen Tag auf dieser schmalen Matratze hatte aushalten können; als ich jedoch aufzustehen versuchte, konnten mich meine Beine kaum tragen. Ich befürchtete, jeden Moment auf einen der Kranken zu stürzen, als ich die zwanzig Schritt oder so zu dem Mann, der gerade hereingebracht worden war, schwankte.
    Es war Emilian, den ich als Höfling am Hofe des Autarchen gekannt hatte. Ich war so verblüfft, ihm hier zu begegnen, daß ich ihn beim Namen rief.
    »Thecla«, murmelte er. »Thecla …«
    »Ja, Thecla. Du erinnerst dich an mich, Emilian. Und nun sei gesund.« Ich berührte ihn mit der Klaue.
    Er schlug die Augen auf und schrie.
    Ich machte mich davon, stürzte aber auf halbem Weg zu meiner Pritsche. Ich war wohl zu schwach, das restliche Stück kriechend zu bewältigen, konnte aber die Klaue wegstecken und mich unter Hallvards Bett rollen und damit unsichtbar machen.
    Als die Sklaven herbeirannten, saß Emilian aufrecht und vermochte zu sprechen – obgleich sie wohl nicht viel von dem, was er sagte, verstehen konnten. Sie gaben ihm Kräuter, und einer von ihnen blieb bei ihm, bis er sie gekaut hatte, und entfernte sich dann leise.
    Ich rollte mich unter dem Feldbett hervor und richtete mich auf, indem ich mich daran festhielt und emporzog. Alles war wieder still, aber ich wußte, daß viele der Kranken mich vor meinem Sturz gesehen hatten. Emilian schlief nicht, wie ich vermutet hatte, sondern war wie betäubt. »Thecla«, flüsterte er. »Ich

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