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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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wie dem auch sei, ich folgte der Karte, die ich erhalten hatte, von nun an genau. Ehe die Nacht älter als zwei Wachen wurde, hatte ich einen Pfad entdeckt, der mich hinauf zur Tür des Letzten Hauses führte, welches am Rande des gleichen Kliffs stand, das ich noch in Erinnerung hatte. Die Reise hatte, wie Mannea sagte, zwei Tage gedauert.
     

 
Der Anachoret
     
    Das Haus hatte eine Veranda. Sie lag kaum höher als der Fels, auf dem die Einsiedelei stand, verlief aber entlang beider Seiten und um die Ecke herum, wie man es manchmal an besseren Landhäusern sieht, wo es wenig zu befürchten gibt und die Bewohner gern in der Abendkühle sitzen und beobachten, wie die Urth unter den Mond sinkt. Ich klopfte an die Tür und ging, nachdem sich niemand gemeldet hatte, durch die Veranda zuerst links, dann rechts ums Haus, wobei ich in die Fenster spähte.
    Drinnen war es zu dunkel, um etwas zu erkennen. Wie es sich zeigte, erstreckte sich die Veranda ums ganze Haus, ausgenommen die Seite, an der der Abgrund gähnte, wo sie ohne Geländer jäh endete. Nachdem ich wieder vergeblich geklopft hatte, legte ich mich auf der Veranda zum Schlafen nieder (denn hier hatte ich ein Dach über dem Kopf; ein geschützteres Lager ließe sich auf dem Kliff sowieso kaum finden), als ich leise Schritte vernahm.
    Irgendwo im oberen Teil des Hauses ging jemand. Schleppend und langsam klangen die Schritte zunächst, so daß ich schon an einen Greis oder Kranken glaubte. Beim Näherkommen jedoch wurden sie immer fester und schneller und verwandelten sich, zur Tür kommend, in den zielstrebigen Schritt eines Willensmenschen, eines Mannes vielleicht, der ein Manipel oder eine Reiterschwadron befehligt.
    Ich hatte mich wieder erhoben, mir den Staub vom Mantel geklopft und mich zurechtgemacht, so gut ich konnte, war aber nur dürftig vorbereitet, als sich die Tür auftat. Der Mann trug eine Kerze, dick wie mein Unterarm, in deren Schein ich ein Gesicht gewahrte, das dem Gesicht der Hierodulen glich, denen ich auf Baldanders’ Burg begegnet war, das jedoch zweifelsohne menschlich war. Wie die Gesichter der Statuen in den Gartenanlagen des Hauses Absolut den Gesichtern solcher Wesen wie Famulimus, Barbatus und Ossipago nachgebildet waren, so waren deren Gesichter, wie ich glaubte, bloße Imitationen – Nachahmungen in einem fremden Medium – eines solchen Gesichtes, wie ich es nun vor mir hatte. Ich habe in dieser Erzählung oft gesagt, daß ich mich an alles erinnern kann, was selbstverständlich der Fall ist; wenn ich aber versuche, dieses Gesicht neben diesen Worten auch zeichnerisch darzustellen, so bin ich dazu, wie ich feststellen muß, nicht in der Lage. Jede Zeichnung, die ich anfertige, gleicht ihm nicht im geringsten. Ich kann nur sagen, daß die Brauen buschig und gerade und die Augen tief und dunkelblau wie bei Thecla gewesen sind. Auch die Haut dieses Mannes war fraulich zart, obgleich er nichts Weibisches an sich hatte, und sein Bart, der bis zur Hüfte fiel, war kohlrabenschwarz. Die Robe war offenbar weiß, funkelte aber in den Farben des Regenbogens, wo das Kerzenlicht auf sie schien.
    Ich verneigte mich, wie ich es im Matachin-Turm gelehrt worden war, nannte ihm meinen Namen und erklärte, wer mich geschickt habe. Dann fragte ich: »Und seid Ihr, Sieur, der Anachoret des Letzten Hauses?«
    Er nickte. »Ich bin hier der letzte Mann. Du darfst Ash zu mir sagen.«
    Mit einem Schritt zur Seite bedeutete er mir einzutreten und führte mich dann in ein rückwärtiges Zimmer, das mit seinem breiten Fenster zum Tal gelegen war, aus dem ich in der Nacht zuvor aufgestiegen war. Es war dieses Zimmer versehen mit Holzstühlen und einem Holztisch. Metallene Truhen, die im Kerzenschein ordentlich glänzten, ruhten entlang den Wänden.
    »Verzeih, daß es hier so aussieht«, sagte er. »Hier ist zwar das Besuchszimmer, aber ich habe so selten Gäste, daß ich es nun als Abstellkammer nutze.«
    »Lebt man allein an einem so einsamen Ort, ist es nur gut, wenn man arm wirkt, Meister Ash. Was bei diesem Zimmer nicht unbedingt der Fall ist.«
    Ich hätte nie geglaubt, daß dieses Gesicht zu einem Lächeln imstande wäre, dennoch lächelte er nun. »Willst du meine Schätze besichtigen? Sieh!« Er stand auf und öffnete eine der Truhen, wobei er die Kerze so hielt, daß sie das Innere ausleuchtete. Die Kiste war gefüllt mit trockenem Kastenbrote und gepreßten Feigen. Als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte, fragte er : »Hast du Hunger? Dieses

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