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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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beschlich. Nachdem Terminus Est in die Brüche gegangen war, hatte ich furchtlos bei Baldanders’ geplünderter Burg genächtigt und war dann furchtlos gen Norden gezogen. Noch in der letzten Nacht hatte ich völlig unbewaffnet auf dem blanken Fels des Kliffs geschlafen, ohne mich zu fürchten – was vielleicht von meiner großen Erschöpfung herrührte. Jetzt glaube ich, daß ich mich während dieser Tage und schon seit meinem Aufbruch aus Thrax immer mehr von der Zunft gelöst und mich als das gesehen habe, wofür mich alle, denen ich begegnet bin, gehalten haben: einen dieser abenteuerlustigen Haudegen, von denen ich am Abend zuvor gegenüber Meister Ash gesprochen habe. Als Folterer hatte ich mein Schwert nicht so sehr als Waffe, sondern als Werkzeug und Zeichen meines Amtes betrachtet. Es war für mich im Rückblick zur Waffe geworden, und eine Waffe hatte ich nun nicht mehr.
    All das ging mir durch den Kopf, während ich, die Hände im Nacken verschränkt, auf der bequemen Matratze von Meister Ash ruhte. Ich müßte mir wieder ein Schwert erwerben, wenn ich in dieser vom Kriege heimgesuchten Gegend bliebe, und es wäre gar nicht dumm, eins zu haben, selbst wenn ich wieder südwärts zöge. Die Frage war, ob ich wider südwärts ziehen sollte. Wenn ich hier bliebe, liefe ich Gefahr, in das Kampfgeschehen verwickelt und getötet zu werden. Noch gefährlicher für mich wäre aber eine Rückkehr in den Süden. Abdiesus, der Archon von Thrax, hatte sicherlich eine Belohnung für meine Ergreifung ausgesetzt, und die Zunft würde ganz bestimmt einen Meuchelmörder auf mich ansetzen, wenn sie erführe, daß ich mich in der Gegend von Nessus aufhielte.
    Nachdem ich eine Weile hin und her überlegt hatte, wie man es tut, wenn man im Halbschlaf liegt, kam mir Winnoc in den Sinn, der mich über die Sklaven der Pelerinen aufgeklärt hatte. Weil es eine Schande ist, wenn einer unsrer Klienten nach der Folter stirbt, werden wir von der Zunft in Heilkunde unterwiesen; ich hatte den Eindruck, auf diesem Gebiet bereits mindestens so bewandert zu sein wie die Sklaven. Das Mädchen in der Hütte heilen zu können, war für mich sehr beglückend gewesen. Die Chatelaine Mannea hatte schon eine gute Meinung von mir und hätte gewiß eine noch bessere, wenn ich erst Meister Ash gebracht hätte.
    Vor wenigen Augenblicken hatte ich mich gesorgt, weil ich keine Waffe besaß. Nun hatte ich eine – Entschlossenheit und ein Plan sind besser als ein Schwert, weil ein Mensch die eigenen Schneiden daran schärft. Ich warf die Decke zurück und bemerkte erst jetzt, wie weich sie war. Das große Zimmer war kalt, aber sonnig; ich hatte den Eindruck, als schiene an allen vier Seiten eine Sonne herein, als zeigten alle Wände gen Osten. Ich ging nackt ans nächste Fenster und sah jenes wellige, weiße Feld, das ich schon am Vorabend geistesabwesend registriert hatte.
    Freilich war es keine Wolkenbank, sondern eine Eiswüste. Der Fenster ließ sich nicht aufmachen; zumindest scheiterte ich an seiner verzwickten Mechanik. Aber ich drückte mir die Nase an der Scheibe platt und spähte hinab, so weit ich konnte. Das Letzte Haus stand nach wie vor auf einem hohen Fels. Dieser Fels allein ragte über das Eis hinaus. Ich eilte von Fenster zu Fenster, aber von jedem bot sich mir der gleiche Ausblick. Nachdem ich wieder zum Bett gegangen war, auf dem ich geschlafen hatte, schlüpfte ich in die Hosen und Stiefel und warf mir den Mantel über die Schultern, ohne zu wissen, was ich tat.
    Meister Ash erschien, als ich mich gerade angezogen hatte. »Ich hoffe, nicht zu stören«, sagte er. »Ich hörte deine Schritte.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich wollte nicht, daß du dich beunruhigst.«
    Ohne daß ich es gewollt hätte, hatte ich die Hände ans Gesicht gehoben. Nun fielen irgendeinem törichten Teil von mir die langen Bartstoppeln auf. Ich sagte: »Ich wollte mich vor dem Anziehen des Mantels rasieren. Wie dumm von mir. Ich habe mich seit dem Lazarett nicht mehr rasiert.« Mir war, als würde mein Geist draußen übers Eis streifen, während Zunge und Lippen sich selbst überlassen blieben.
    »Es ist warmes Wasser und Seife da.«
    »Prima«, sagte ich. Und dann: »Wenn ich nach unten gehe …«
    Wieder jenes Lächeln. »Ist da das gleiche? Das Eis? Nein. Du bist der erste, der’s erraten hat. Darf ich fragen, wie du darauf gekommen bist?«
    »Vor langer Zeit – nein, ein paar Monate ist’s eigentlich erst her – besuchte ich den Botanischen

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