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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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Garten zu Nessus. Dort gab’s einen Teich, der hieß ›Vogelsee‹; darin waren Leichen, die anscheinend nie verwesen. Ich erfuhr, das liege am Wasser, aber schon damals hatte ich Bedenken, ob pures Wasser so etwas bewirken könnte. Es gab dort auch eine andere Stelle, die hieß ›Dschungelgarten‹; dort waren die Blätter so grün, wie ich’s noch nie gesehen hatte – nicht hellgrün, sondern dunkel, so satt war das Grün, als könnten die Pflanzen gar nicht die ganze Energie, die von der Sonne kam, aufnehmen. Die Leute dort schienen nicht aus unsrer Zeit zu sein, obwohl ich nicht sagen konnte, ob sie aus der Vergangenheit oder aus der Zukunft oder aus einem dritten Gefilde, das keins von beiden wäre, stammten. Sie hatten ein Häuschen. Es war viel kleiner als das hier, aber das hier erinnert mich daran. Ich habe seither oft an den Botanischen Garten gedacht und mir manchmal überlegt, ob sein Geheimnis nicht daraus bestehe, daß sich im Vogelsee die Zeit nicht ändere und man sich hin-und herbewege, wenn man den Pfad des Dschungelgartens beschreite. Rede ich zuviel?«
    Meister Ash schüttelte den Kopf.
    »Als ich hier ankam, sah ich Euer Haus über dem Kliff. Als ich aber das Kliff bestieg, war das Haus verschwunden und das Tal darunter anders, als ich es in Erinnerung hatte.« Da ich nicht wußte, was ich noch sagen sollte, verstummte ich.
    »Du hast recht«, erklärte mir Meister Ash. »Ich bin an diesen Ort bestellt, um zu beobachten, was du nun um dich herum siehst. Die unteren Geschosse meines Hauses reichen allerdings in ältere Epochen zurück, wovon die deine die älteste ist.«
    »Das klingt höchst wundersam.«
    Er schüttelte den Kopf. »Viel wundersamer ist, möchte man fast meinen, daß dieser Fels vor den Gletschern verschont geblieben ist. Die Gipfel von viel höheren Bergen sind bedeckt. Er liegt geschützt aufgrund einer geographischen Besonderheit, die so raffiniert ist, daß es sich nur um einen Zufall handeln kann.«
    »Aber wird schließlich auch im Eis versinken?«
    »Ja.«
    »Und was dann?«
    »Dann gehe ich wieder. Das heißt, ich gehe natürlich, bevor es dazu kommt.«
    Ich hatte plötzlich eine Wut im Bauch; mich packte unerklärlicherweise der gleiche Zorn, den ich manchmal als Knabe empfunden hatte, wenn ich Meister Malrubius meine Fragen nicht verständlich machen konnte. »Ich meinte, was wird dann aus der Urth?«
    Er zuckte die Achseln. »Nichts. Was du siehst, ist die letzte Eiszeit. Die Sonnenoberfläche ist jetzt glanzlos; bald wird sie wieder erstrahlen vor Hitze, aber die Sonne selbst wird schrumpfen und somit ihren Welten weniger Wärme spenden. Wenn schließlich jemand käme und auf dem Eis stünde, sähe er die Sonne nur als hellen Stern. Das Eis, worauf er stünde, wäre nicht das gleiche, das du nun siehst, sondern die Atmosphäre dieser Welt. Und so wird es sehr lange Zeit bleiben. Vielleicht bis zum Ende aller Tage.«
    Ich trat an ein anderes Fenster und blickte wieder über die Eiswüste hinaus. »Passiert das bald?«
    »Das Bild, das du siehst, liegt viele Jahrtausende in deiner Zukunft.«
    »Aber davor muß das Eis aus dem Süden weit heraufgewandert sein.« Meister Ash nickte. »Und sich von den Gipfeln herunter ausgedehnt haben. Folge mir!«
    Wir stiegen ins zweite Geschoß dieses Hauses hinab, dem ich am Abend zuvor beim Heraufgehen kaum Beachtung geschenkt hatte. Es gab hier weniger Fenster, und es stellte Meister Ash vor eins davon Stühle, so daß wir, wie er zu bedeuten gab, Platz nehmen und hinausblicken könnten. Es war, wie er gesagt hatte: Eis, makellos schön, kroch von den Gipfeln in die Täler und bekriegte die Kiefern. Ich fragte, ob auch das weit in der Zukunft liege, woraufhin er abermals nickte. »Du wirst es nicht erleben.«
    »Aber so nah, daß ein Mensch es fast noch erleben könnte?«
    Er zuckte die Achseln und grinste in seinen Bart. »Sagen wir lieber, es ist eine Sache der Entwicklung. Du wirst’s nicht erleben. Ebensowenig deine Kinder und deren Kinder. Aber die Entwicklung hat bereits begonnen. Sie hat lange vor deiner Geburt begonnen.«
    Ich wußte nichts über den Süden, aber unwillkürlich fielen mir die Inseln aus Hallvards Geschichte ein, die hübschen, geschützten Siedlungen, wo die Männer ein wenig Ackerbau betrieben und auf Robbenjagd gingen. Auf diesen Inseln könnten die Männer mit ihren Familien nicht mehr lange leben. Die Boote am steinigen Strand würden zum letzten Mal murmeln: »Mein Weib, meine Kinder, meine Kinder,

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