Die Zitadelle des Autarchen
irreführender ist.«
»Bevor ich das Bewußtsein verloren habe, habt Ihr gesagt, Ihr seid der Autarch.«
Er warf sich neben mich wie ein Kind und plumpste auf die aufgeschichteten Teppiche. »Das sagte ich. Der bin ich. Erstaunt?«
»Ich wäre erstaunter«, versetzte ich, »wenn ich mich von unsrer Begegnung im Azurnen Haus nicht so lebhaft an Euch erinnern könnte.«
(Jene Eingangstreppe, bedeckt mit Schnee, überhäuft von Schnee, der unsere Schritte dämpfte, stand nun wie ein Gespenst im seidenen Zelt. Als die blauen Augen des Autarchen den meinen begegneten, war mir, als stünde Roche neben mir im Schnee, ebenso ungewohnt wie ich mit den etwas zu großen Gewändern bekleidet. Drinnen verwandelte sich eine Dame, die nicht Thecla war, in Thecla, wie ich später Meschia, der erste Mann, werden sollte. Wer kann sagen, in welchem Ausmaß der Schauspieler den Geist einer Person annimmt, die er verkörpert? Als ich den Vertrauten darstellte, bedeutete mir das nichts, stand es doch dem, was ich im Leben war – oder zu sein glaubte – so nahe; aber als Meschia kamen mir zuweilen Dinge in den Sinn, die mir anderweitig noch nie eingefallen waren, Dinge, die Severian ebenso fremd waren wie Thecla, Gedanken zu den Anfängen aller Dinge und zum Morgen der Welt.)
»Ich habe dir, wie du sicher weißt, nie gesagt, daß ich nur der Autarch sei.«
»Als ich Euch im Haus Absolut begegnete, hatte ich den Eindruck, Ihr wärt irgendein kleiner Hofbeamter. Ich gebe zu, das habt Ihr nicht gesagt, und ich habe ja bereits gewußt, wer Ihr seid. Aber Ihr seid’s gewesen, nicht wahr, der Dr. Talos das Geld gegeben hat?«
»Das hätte ich dir ohne Erröten sagen können. Es stimmt vollkommen. Ich bin nämlich mehrere der kleineren Beamten meines Hofes … Warum auch nicht? Ich habe das Recht, solche Beamten zu ernennen, und kann mich ebensogut selber berufen. Ein Befehl vom Autarchen ist oft ein zu gewichtiges Mittel, siehst du. Du härtest nie versucht, mit jenem gewaltigen Henkersschwert, das du besessen, eine Nase aufzuschlitzen. Bald ist ein Erlaß des Autarchen angemessen, bald ein Brief vom Dritten Schatzmeister, und ich bin beides und mehr obendrein.«
»Und in jenem Haus im Algedonischen Viertel …«
»Ich bin auch ein Krimineller … genau wie du.«
Dummheit hat keine Grenzen. Der Raum, so hört man, wird angeblich durch seine Krümmung beschränkt, aber die Dummheit reicht über die Ewigkeit hinaus. Ich, der ich mich stets für einen, wenn auch nicht wirklich intelligenten, so doch vernünftigen Menschen mit rascher Auffassungsgabe für einfachere Zusammenhänge gehalten und als den Praktischen und Vorausschauenden gesehen hatte, während ich mit Jonas oder Dorcas durch die Lande zog, brachte erst jetzt die Stellung des Autarchen an der Spitze von Gesetz und Ordnung mit seinem sicheren Wissen darum, daß ich das Haus Absolut als Vodalus’ Sendbote betreten hatte, in Zusammenhang. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und aus dem Zelt geflohen, aber meine Beine waren wie Wasser.
»Das sind wir alle – müssen wir alle sein, die wir das Gesetz hüten. Glaubst du, deine Zunftbrüder wären so streng mit dir verfahren – mein Agent weiß zu berichten, daß viele davon für deinen Tod eingetreten sind –, wenn sie sich nicht selbst irgend etwas dergleichen hätten zuschulden kommen lassen? Wenn nicht schrecklich bestraft, wärst du eine Gefahr für sie gewesen, denn sonst wären auch sie eines Tages versucht. Ein Richter oder Kerkermeister, der selber nichts verbrochen hat, ist ein Ungetüm, indem er bald die Vergebung, die dem Increatus allein zu eigen ist, nachahmt, bald eine tödliche Strenge walten läßt, die niemand und nichts zu eigen ist.
Also wurde ich kriminell. Die gewalttätigen Verbrechen widerstreben meiner Menschenliebe, und es fehlt mir zum Dieb die körperliche und geistige Gewandtheit. Nachdem ich mich eine Weile umgesehen hatte – das war etwa in dem Jahr, wo du zur Welt gekommen bist –, entdeckte ich meine wahre Berufung. Dadurch werden gewisse emotionale Bedürfnisse gestillt, die ich anderweitig nicht mehr befriedigen kann … und ich habe, ich habe wirklich einige Menschenkenntnis. Ich weiß, wann ich ein Bestechungsgeld zahlen muß und wieviel, und ich weiß, was am allerwichtigsten ist, wann nämlich gar nicht. Ich weiß, wie die Mädchen, die für mich arbeiten, bei Laune zu halten sind, so daß sie ihrem Beruf treu bleiben, und wie man dafür sorgt, daß sie sich mit ihrem Los nicht
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