Die Zitadelle des Autarchen
Haar.
Das Autarchenzelt stand auf der Kuppe eines Hügels. Es war umringt vom Hauptlager seines Heeres – Zelten in Schwarz und Grau und der Farbe dürren Laubes, Hütten aus Torf und Gruben, die zu unterirdischen Stellungen führten, denen nun wie silberne Ameisen scharenweise Soldaten entströmten.
»Du weißt, wir müssen auf der Hut sein«, sagte er. »Obschon wir hier ein gutes Stück hinter den Linien liegen, würde dieses Gelände, wenn es flacher wäre, einen Luftangriff schier herausfordern.«
»Ich habe mich immer gefragt, warum Euer Haus Absolut unter seinen eigenen Gärten liege, Sieur.«
»Die Notwendigkeit besteht zwar längst nicht mehr, aber es hat eine Zeit gegeben, da ist Nessus dem Erdboden gleichgemacht worden.«
Unter uns und um uns herum erschallten silberhelle Trompeten.
»War’s nur die Nacht?« fragte ich. »Oder habe ich einen ganzen Tag verschlafen?«
»Nein, nur die Nacht. Ich gab dir Arzneien, um deine Schmerzen zu lindern und die Wunde vor einer Infektion zu schützen. Ich hätte dich heute morgen nicht geweckt, aber du warst, wie ich sah, schon wach, als ich hineinkam … und wir haben keine Zeit mehr.«
Ich war mir nicht sicher, was er damit meinte. Ehe ich fragen konnte, war mein Augenmerk auf sechs halbnackte Männer gefallen, die an einem Seil zogen. Mein erster Eindruck war, sie holten einen großen Ballon ein, aber es war ein Flieger, und der Anblick des schwarzen Rumpfes erweckte lebhafte Erinnerungen an den Autarchenhof.
»Ich habe mit – wie heißt er? – Mamillian gerechnet.«
»Keine Tierchen heute. Mamillian ist ein guter Kamerad, der still und weise ist und denken kann, der auch ohne mein Dazutun kämpft; aber wenn alles gesagt und erledigt ist, reit’ ich ihn zum Vergnügen. Heute tun wir’s den Asciern gleich und verwenden eine Maschine. Sie machen uns auch allerhand nach.«
»Stimmt es, daß ihr Landevermögen eingeschränkt ist? Ich glaube, einer Eurer Aeronauten hat mir das einmal erklärt.«
»Als du die Chatelaine Thecla warst, meinst du. Nur Thecla.«
»Ja, natürlich. Wäre es unhöflich, Autarch, zu fragen, warum Ihr mich töten ließet? Und wie Ihr mich jetzt erkannt habt?«
»Ich habe dich erkannt, weil ich dein Gesicht im Gesicht meines jungen Freundes sehe und deine Stimme aus der seinen höre. Deine Kindermädchen erkennen dich ebenfalls. Sieh doch.«
Ich schaute; die Katzen-Frauen fauchten ängstlich und verblüfft.
»Was deinen Tod angeht, so werde ich – mit ihm – darüber an Bord des Fliegers sprechen – wenn uns Zeit bleibt. Und nun geh zurück! Es gelingt dir ohne Mühe, dich zu zeigen, weil er geschwächt und krank ist, aber ich brauche jetzt ihn, nicht dich. Gehst du nicht freiwillig, so gibt es Mittel und Wege.«
»Sieur …«
»Ja, Severian? Hast du Angst? Hast du schon einmal ein solches Gefährt betreten?«
»Nein«, antwortete ich. »Aber ich habe keine Angst.«
»Erinnerst du dich an deine Frage zum Landevermögen? Es stimmt gewissermaßen. Der Auftrieb kommt zustande durch das antimaterielle Gegenstück von Eisen, das durch Magnetfelder fixiert ist. Da das Anti-Eisen eine umgekehrte Magnetstruktur hat, wird es vom promagnetischen Feld abgestoßen. Die Erbauer dieser Flieger haben sie mit Magneten umgeben; wenn es also aus seiner Mittelposition abgleitet, dringt es in ein stärkeres Feld ein und wird zurückgedrängt. Auf einer antimateriellen Welt wäre dieses Eisen so schwer wie Stein, aber hier auf Urth hebt es das Gewicht der Promaterie, womit dieser Flieger gebaut ist, auf. Folgst du mir?«
»Ich glaube ja, Sieur.«
»Die Schwierigkeit besteht darin, daß es unseren Technikern unmöglich ist, die Schale hermetisch abzudichten. Die Atmosphäre – ein paar Moleküle – dringt immer ein durch poröse Stellen an den Schweißungen oder in der Isolierung der Magnetspulen. Jedes derartige Molekül neutralisiert sein Gegenstück im Anti-Eisen und erzeugt Hitze, und bei jedem büßt der Flieger eine verschwindend kleine Menge an Auftrieb ein. Die einzige Lösung, auf die man bislang gekommen ist, besteht darin, den Flieger so hoch wie möglich zu halten, wo praktisch kein Luftdruck mehr herrscht.«
Der Flieger ging nun so tief nieder, daß ich seine wunderbar schnittige Form bewundern konnte. Seine Linienführung entsprach genau einem Kirschblatt.
»Alles habe ich nicht ganz verstanden«, sagte ich. »Aber ich würde meinen, das Seil müßte unendlich lang sein, damit der Flieger in genügend großer Höhe
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